TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Zurück in eine höchst unsichere Welt“, von Christian Jentsch

Ausgabe vom Dienstag, 23. Juni 2020

Innsbruck (OTS) Der letzte große atomare Abrüstungsvertrag New Start steht vor dem Aus. Abrüstungsgespräche in Wien sind ein letzter Rettungsanker. Die Trump-Regierung hält wenig von internationalen Verträgen. Das Fundament unserer Sicherheit bröckelt.

In Wien soll also gerettet werden, was eigentlich kaum noch zu retten ist. Ges­tern begannen in Wien Abrüstungsgespräche zwischen den USA und Russland, um den eigentlich schon todgeweihten Abrüstungsvertrag New Start doch noch am Leben zu erhalten. Der im April 2010 in Prag vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama und seinem damaligen russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew unterzeichnete und am 5. Februar 2011 in Kraft getretene Vertrag als Weiterentwicklung der nuklearen Abrüstung aus dem Kalten Krieg sollte die Nukleararsenale Russlands und der USA auf je 800 Trägersysteme und 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe begrenzen. Der Vertrag ist noch bis Februar 2021 aufrecht. Doch die Trump-Regierung möchte auch den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag aufkündigen. Wie den INF-Vertrag, der den Besitz und die Entwicklung von landgestützten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern verboten hatte und vergangenen Sommer zu Grabe getragen wurde. Die USA stiegen 2019 aus, nachdem Moskau mit neuen Marschflugkörpern provozierte.
Die zentralen und gerade auch für die Sicherheit Europas so entscheidenden Abrüstungsabkommen aus dem Kalten Krieg sollen nach dem Willen der Trump-Regierung entsorgt werden. Sie haben in Trumps Welt keinen Platz mehr.
Und sicher: Der Kalte Krieg ist Geschichte, die Bipolarität der Welt auch. Andere Mächte wie China drängen in eine Supermachtrolle, während Russland diese verloren hat und die USA unter Präsident Trump auf internationaler Ebene schwächeln. Es geht also nicht in erster Linie um die Auferstehung der kalten Krieger. Es geht vielmehr um die Entwicklung hin zu einer immer gefährlicher werdenden Welt, in der Verträge und multilaterale Abkommen einfach einseitig aufgekündigt und die Fundamente unserer Sicherheit untergraben werden. Es soll wieder das Recht des Stärkeren gelten – ohne multilaterale Auffangnetze. Und das in einer Zeit, in der die globalen Herausforderungen – Stichwort Klima- und Corona-Krise – immer größer werden. Die Folge einer „Jeder für sich“-Politik wäre eine höchst unsichere Welt mit vielen Brandherden. Und gerade Europa droht wieder einmal zwischen den Interessen Washingtons, Pekings und Moskaus zerrieben zu werden. Und trotzdem sieht man kein Aufbäumen, Europa übt sich weiterhin lieber in Selbstzerfleischung.

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