TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Zum Erfolg verdammt“, von Wolfgang Sablatnig

Ausgabe vom Dienstag, 12. November 2019

Innsbruck (OTS) Sebastian Kurz und Werner Kogler halten den Ball bewusst flach, bevor sie in die Koalitionsverhandlungen starten. Vor allem für den ÖVP-Chef bieten sich aber kaum Alternativen. Ein Zurück zur FPÖ wäre mit viel Risiko verbunden.

Es ist kein Zufall, dass Sebastian Kurz und Werner Kogler vor Beginn der jetzt offiziell so genannten Regierungsverhandlungen den Umgang mit den Unterschieden von Grünen und ÖVP und damit die Notwendigkeit von Kompromissen unterstreichen. Kogler zitierte den Soziologen Max Weber, der schon vor Jahrzehnten zwischen der strikten Gesinnungsethik und der flexibleren Verantwortungsethik unterschieden hat.
Kurz nannte die Punkte: Wo die Grünen für Umwelt- und Klimaschutz gewählt worden seien, habe die ÖVP die Migrations- und Standortpolitik als Kernbereiche. Ob die Parteien es schaffen, dem Gegenüber ausreichend nachzugeben, ohne die Unterstützung der eigenen Anhänger aufs Spiel zu setzen, wird über Erfolg oder Misserfolg der Regierungsbildung entscheiden – und über Erfolg oder Misserfolg einer künftigen Regierung.
Es ist bezeichnend, dass Kurz von einer „anderen, vielleicht neuen Form des Regierens“ spricht. An ihm und Kogler wird es liegen, dass diese neue Form etwas anderes wird als ein fauler Kompromiss, in dem das Scheitern schon angelegt wäre. Wie schwierig das auch für Kurz wird, zeigen die skeptischen Reaktionen nicht zuletzt aus der Tiroler ÖVP.
Die nächsten Wochen versprechen viel Spannung. Vor allem die Türkisen sind zum Erfolg verdammt. Ihnen fehlen die Alternativen. Zwar wäre die inhaltliche Übereinstimmung zwischen ÖVP und FPÖ am größten. Eine Neuauflage der geplatzten Koalition könnte dort weitermachen, wo sie im Mai aufgehört hat.
Gleichzeitig blieben die bekannten Probleme, Herbert Kickl und die „Einzelfälle“. Das nochmalige Scheitern einer türkis-blauen Koalition, dieses Mal wider besseres Wissen, kann sich Kurz nicht erlauben, ohne dass sein Ruf über Österreich hinaus Schaden nimmt:
Ein Zurück zur FPÖ wäre bestenfalls ein Notnagel.
Bei der SPÖ wiederum wären die inhaltlichen Differenzen in vielen Bereichen ebenso groß wie bei den Grünen. Anders als bei der Öko-Partei stünde Kurz aber eine angeschlagene Parteichefin gegen­über, die kaum das innerparteiliche Gewicht hätte, schmerzhafte Kompromisse durchzusetzen.
Und eine Minderheitsregierung? Auch mit den NEOS allein hätte die ÖVP keine Mehrheit. Warum aber sollten SPÖ, FPÖ oder Grüne diese Regierung nicht bei erster Gelegenheit stürzen? Was in anderen Ländern Tradition hat, muss in Österreich noch lange nicht funktionieren.

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