TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Wer regiert, darf nicht nur reagieren“, von Benedikt Mair

Ausgabe vom 9. August 2018

Innsbruck (OTS) Die ausufernden Verstimmungen zwischen sozialen Einrichtungen in Innsbruck und ihren Anrainern lehren vor allem eines: Politiker müssen endlich verstehen, dass nur vorausschauendes Handeln eine Eskalation vermeiden kann.

Wenn Tropfen um Tropfen hineinfällt, läuft irgendwann ein jedes Fass über. Selbst der gutmütigste Mensch hat nach der dritten, vierten oder fünften schlaflosen Nacht in Folge genug. Und macht seinem Ärger Luft, bevor er in ihm zu ertrinken droht. Nur allzu gut nachvollziehbar ist der Unmut jener Innsbrucker, die durch den Lärm vor ihrer Haustüre wach gehalten werden und deshalb letzthin immer mehr auf die Barrikaden steigen.
Ihre Wut entlädt sich dabei nicht nur gegen Obdachlose, Süchtige oder einfach nachtschwärmende Jugendliche und junge Erwachsene – die oft für Geschrei, Getöse, Gepolter verantwortlich sind. Auch die sozialen Einrichtungen, die den Gruppen eigentlich Schutz, Hilfe und allzu oft einen Raum zum Leben bieten, sehen sich mit Protesten und Vorwürfen konfrontiert. Weil sich ihre Schutzbefohlenen auch nachts oder nach den Öffnungszeiten noch im Umkreis aufhalten.
Sie werden zu Unrecht verurteilt. Denn Teestube, Mentlvilla oder Jugendzentrum Z 6 – jene drei Institutionen, die in letzter Zeit ins Zentrum der Kritik gerückt wurden – leisten eine gute und für die Gesellschaft wichtige Arbeit. Das steht fest. Und mag auch niemand anzweifeln. Wieso dann diese Eskalation? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Haben die Einrichtungen Schuld? Ihre Kunden und Klienten? Oder sind es vielleicht sogar die Anrainer, die sich mittlerweile wegen jeder Kleinigkeit beschweren? Nichts von alledem trifft zu. Es sind die Politiker, die immer noch nicht verstanden haben, dass Probleme nicht erst dann angegangen und angepackt werden dürfen, wenn die Schmerzgrenze bei den Betroffenen erreicht ist. Innsbruck und das Dilemma um die gestörte Nachtruhe ist hier ein Paradebeispiel. Erst wenn sich Hunderte Bürger finden, die aufbegehren, wird über Maßnahmen nachgedacht. Und die scheinen derzeit nicht durchdacht und nachhaltig zu sein.
Denn obwohl die Fakten schon lange auf dem Tisch liegen, verbleiben die Regierenden dabei, nur zu reagieren, nicht zu agieren. Ein Gitter hier, eine Absperrung da. Irgendwie werden die Lärmquellen schon zu vertreiben sein. Wenn sonst nichts mehr hilft, dann kommt vielleicht eine weitere Verbotszone? Als hätte Inns­bruck nicht schon genug. So werden die Probleme nur verlagert, nicht gelöst. Was im Moment noch fehlt, ist ein vorausschauendes Konzept, das ein friedliches und konfliktfreies Zusammenleben aller Menschen ermöglicht.

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