TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Was heißt hier schon europäisch?“, von Michael Sprenger

Ausgabe vom Montag, 25. Mai 2020

Innsbruck (OTS) Merkel erfindet sich einmal mehr neu – als Europäerin. Kanzler Kurz dürfte spüren, dass ein kategorisches Nein zum Merkel/Macron-Plan vor allem der heimischen Wirtschaft schadet – und den Euroraum gefährdet.

Deutschland, der mächtigste Faktor innerhalb der Europäischen Union, stimmte in den ersten Wochen der Corona-Krise in den antieuropäischen Chor ein. Oder nennen wir ihn nationalen Gesang des Egoisten? Jedenfalls war in dieser Zeit, als der Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus zum Stillstand des öffentlichen Lebens führte, für europäische Hilfe kein Platz. Hingegen sicherten Polizisten die Binnengrenzen. Zugleich setzte ein Wettbewerb ein, wer wohl am besten durch die Krise komme. Corona-Bonds, jenes Instrument, um notleidende Mitgliedsstaaten vor dem wirtschaftlichen Kollaps zu helfen, verkamen zum Reizwort. Auch für Angela Merkel. Doch es war die deutsche Kanzlerin, die sich in der Krise wieder einmal neu erfand – als Europäerin. Denn nichts weniger als der Euroraum steht auf dem Spiel. Gemeinsam mit Emmanuel Macron präsentierte sie einen neuen, 500 Milliarden Euro schweren europäischen Corona-Hilfsfonds, der aber – anders als bei den Corona-Bonds – eben keine Vergemeinschaftung der Schulden vorsieht. Jedes Mitgliedsland haftet für seinen Anteil. Gut, man könnte jetzt Merkel und Macron vorwerfen, sie hätten diesen Plan ruhig die Europäische Kommission präsentieren lassen können – und danach laut zustimmen. Aber Merkel weiß, dass es in Krisenzeiten wie diesen auch ein klares europäisches Bekenntnis von ihrer Seite braucht. Denn es war absehbar, dass die vergleichsweise kleinen Nettozahler Österreich und die außerhalb des Euroraums befindlichen skandinavischen Länder Dänemark und Schweden unter der Anleitung des niederländischen rechtsliberalen Ministerpräsidenten Mark Rutte eine Gegenposition einnehmen würden. Eine Position, welche eben nicht mit dem Prädikat „europäisch“ ausgestattet ist.
Irgendwie dürfte Bundeskanzler Sebas­tian Kurz aber gespürt haben, dass der Entwurf der „Sparsamen“ als kleingeistig wahrgenommen werden dürfte. Denn kaum war die Gegenposition zu Merkel und Macron geäußert, gab sich Kurz kompromissbereit. Er fordert nunmehr kein kategorisches Nein zu Zuschüssen, sondern pocht bloß auf zeitliche Befristung der Coronahilfen. Denn Kurz wird wisse­n, dass sich Österreichs Wirtschaft ins eigene Fleisch schneidet, wenn es keine breite Hilfe für Italien gibt. Allein ein Blick auf die ökonomischen Verflechtungen der Region Kärnten und Friaul-Julisch Venetien sowie der Europaregion Tirol reicht dafür aus. Oder müsste ausreichen.

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