TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 5. November 2020 von Floo Weißmann „Amerika bleibt ein gespaltenes Land“

Innsbruck (OTS) Die Wahl hat die Amerikaner nicht hinter einer neuen Führung vereint, sondern weiter auseinandergetrieben.
Die politische Polarisierung kann gefährlich werden – vor allem, wenn der Konflikt um den Wahlsieg anhält.

Die Präsidentenwahl in den USA ist viel knapper ausgegangen, als die Umfragen vorhergesagt hatten. Der Traum der Demokraten, dass die Amerikaner mit deutlicher Mehrheit die Person und Politik von Donald Trump zurückweisen, ist zerplatzt. Der Präsident hat mit einem kraftvollen Finish seine Anhänger mobilisiert. Am Wahltag stand das Rennen wieder dort, wo es schon zu Beginn des Jahres war – bevor die Pandemie und die Proteste gegen Rassismus die Wahlchancen des Präsidenten zu versenken schienen.
Bei den Demokraten beginnt nun das Wundenlecken, selbst wenn Joe Biden nach dem Auszählungsmarathon und diversen Wahlanfechtungen doch noch Präsident wird. War er zu farblos? Hätte es eine weiter links positionierte Alternative gebraucht? War Trumps Pandemiemanagement doch das falsche Hauptthema? Hat man vor lauter Werben um Schwarze und Frauen auf die Latinos vergessen?
Taktische Finessen können die entscheidende Hürde aber nicht aus der Welt schaffen: Die USA sind und bleiben ein tief gespaltenes Land. Seit gestern ist es quasi amtlich, dass Trumps überraschender Wahlsieg von 2016 keine Anomalie war, sondern ein Ausdruck gesellschaftlicher Gegensätze, die der Präsident weiter schürt und für seine Zwecke instrumentalisiert.
Wer immer Amerika in den kommenden vier Jahren regiert, steht vor der gewaltigen Aufgabe, gesellschaftliche und politische Mehrheiten zustande zu bringen, um überhaupt etwas bewegen zu können. Es würde damit anfangen, anzuerkennen, dass nicht alle Trump-Wähler dumpfe Rassisten sind, die aus der Sicht der liberalen Metropolen im „flyover country“ wohnen. Und dass nicht alle Biden-Wähler Sozialisten sind, die Amerika zerstören wollen, wie es die Trump-Propaganda behauptet.
Nur einer der Kandidaten hat sich dieser Aufgabe verschrieben. Der andere hat in der Wahlnacht deutlich gemacht, dass er sich weiterhin nicht an demokratische Spielregeln halten wird. Trump verlangte, die Stimmenauszählung zu stoppen, um seinen Vorsprung über die Runden zu bringen – statt zur Besonnenheit aufzurufen.
Wer immer am Ende vorne liegt: Die jeweilige Gegenseite wird frustriert und wütend sein und die Legitimität des Wahlsiegs anzweifeln. Das kann noch gefährlich werden – vor allem dann, wenn der Konflikt um den Wahlausgang wochenlang vor Gerichten und auf den Straßen ausgetragen wird. Die Wahl hat die Amerikaner vorerst nicht hinter einer neuen Führung vereint, sondern eher noch weiter auseinandergetrieben.

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