TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 4. Juni 2019 von Karin Leitner „Die Chance auf Rollenwechsel“

Innsbruck (OTS) Die Regierung hat es leicht. Sie braucht sich keiner Wahl zu stellen. Die Abgeordneten müssen das.
Dennoch könnten sie einen neuen Stil in den Wahlkampf bringen. Vom Althergebrachten haben viele Bürger genug.

Der Einstieg in das Polit-Geschäft ist Brigitte Bierlein gelungen. Bei ihrer Rede nach der Angelobung als Kanzlerin hat sie verbale Signale gesetzt. Nicht nur an alle Österreicherinnen und Österreicher wandte sie sich, sondern an „alle Menschen, die in unserem Land leben“. Die Jugend und die „jungen Frauen“ hob sie hervor, deren Engagement gebraucht werde. Sie mahnte Toleranz ein, präsentierte sich nicht als Ich-AG, sondern als Demütige und Dienerin. Ein Kontrast zum vormaligen Regierungschef und dessen Vorgängern.
Mit vielen wolle sie sich austauschen, sagte sie – mit Parteienvertretern, Religionsgemeinschaften und der „Zivilgesellschaft“. Ein Kontrast zu den Ex-Koalitionären. Die pflegten den Dialog nur untereinander. Auch dem Parlament widmete sich Bierlein; diesem komme „eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe“ zu. Ein Kontrast zu Sebastian Kurz’ Einstellung zum Hohen Haus, dem er nicht angehören will.
Ja, Bierlein ist – im Gegensatz zu den ehemaligen Kanzlern – keine Parteipolitikerin. Sie muss deshalb nicht wie eine agieren. Ja, Bierlein stellt sich im Herbst nicht der Wahl. Sie muss deshalb nicht um Stimmen heischen. Auch ihre Minister sind wahlkampfbefreit. Angesichts dieser neuen Situation im Lande sollten auch die Abgeordneten ihr Verhalten überdenken.
Mit dem Appell zum „konstruktiven Miteinander“ dürfte Bierlein zu viel von ihnen einfordern – erst recht vor einem Urnengang. Es reichte schon, von untergriffigem Gegeneinander zu lassen; das haben so viele Bürger so satt.
Nicht mehr verlängerter Arm der Regierung sind die einen nun, nicht mehr Oppositionelle die anderen. Auf Augenhöhe Argumente austauschen könnten sie, hart in der Sache, aber nicht hart im Ton. Gar etwas für hiesige Verhältnisse Kühnes wäre möglich: nicht nach Klubvorgabe, sondern nach dem Gewissen zu entscheiden, selbstbewusst zu sein in der Rolle, die ihnen die Verfassung zuerkennt. Wahlkampfbühnen haben die Mandatare abseits des Nationalrats genug.
Ein Zeichen demokratischer Reife wäre das, ein tatsächlich neuer Stil. Und ein Beitrag dazu, den Ruf von Politikern, der nicht erst seit der Ibiza-Video-Offenbarung zweier Blauer schlecht ist, zu verbessern.
In Kenntnis der Akteure ist wohl mit alldem nicht zu rechnen. Schon ihre jetzigen Aussagen lesen sich wie ein Wählervertreibungsprogramm.

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