Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 30. März 2023. Von Florian Madl: „Zu viel Zeit ging den Bach runter“.

Innsbruck (OTS) IOC-Präsident Thomas Bach hätte sich die Aufregung über die Teilnahme russischer Olympia-Sportler sparen können. Der Deutsche wurde erst aktiv, als ihn die anstehenden Sommerspiele in Paris zum Handeln zwangen.

Die olympische Bühne war schon immer eine politische. Zuletzt im Jahr 2014, als russisches Staatsdoping mit der Krim-Annexion einherging und der darauffolgende sportliche Ausschluss entsprechend interpretiert wurde. Doch die jüngste IOC-Empfehlung, Russlands Athleten trotz des Ukraine-Angriffskriegs unter neutraler Flagge bei den Sommerspielen 2024 teilnehmen zu lassen, überlädt den Sport förmlich. Das Öffnen dieser Tür wird als Zugeständnis an Staatschef Wladimir Putin interpretiert, was dieser wohl auch in einer PR-Offensive verwerten wird. Der Kreml-Chef wird die stigmatisierten russischen Olympia-Teilnehmer in den „bösen Westen“ verabschieden, jeden Erfolg innenpolitisch ausschlachten und die Erfolgreichsten zuhause wieder väterlich in den Arm nehmen, um ihnen Orden zu überreichen. Allein die Vorstellung, dass Putins Narrativ im eigenen Land als Einknicken verkauft wird, scheint jegliche Sanktion des Westens zu konterkarieren. Aber vermeiden lässt es sich nicht, dass sich die gleichgeschaltete Medienlandschaft von diesem Funken entzünden lässt.
Die Argumente Thomas Bachs, dass eine Olympia-Teilnahme die diplomatischen Bemühungen unterstütze, können nicht widerlegt werden, aber diesbezüglich nimmt der Deutsche wohl den Sport zu wichtig. Einem Autokraten die Hand zu reichen, heißt nicht, diesen für olympische Werte gewonnen zu haben. Wenn es irgendwelche Gründe geben könnte, dass russische Sportler wieder auf der internationalen Bühne auftauchen, dann höchstens jene:
Aufgrund des Reisepasses darf keine Diskriminierung stattfinden.
Keine Desinformation Russlands durch Isolation seiner Staatsbürger – ein Olympia-Ausschluss manifestiert in erster Linie das von Putin gerne bediente Klischee, der Westen habe sich die Vernichtung seines Landes zum Ziel gesetzt. Eine Mär, die er in jeder seiner schablonenhaften Ansprachen aufs Neue erzählt.
Aus der jetzigen Zwickmühle gibt es kein Entrinnen, zumal sich das Internationale Olympische Komitee selbst hineinmanöv­rierte. Wie schon bei den Sommerspielen 2016 in Rio, als die russische Doping-Causa früh zum Handeln gezwungen hätte, spielte IOC-Präsident Bach auf Zeit. Die drängt auch diesmal, denn die bereits eröffnete Qualifikation für die Sommerspiele 2024 lässt keinen Spielraum. Der Kompromiss damals wie heute: ein fauler, ein aus der Not geborener. Seit 24. Februar 2022, dem Tag des Kriegsbeginns, hatte Bach Zeit, sich über das weitere Vorgehen Gedanken zu machen. Und wieder wurde das verschlafen.

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