TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 3. Dezember 2022 von Alois Vahrner „Nehammers durchwachsene Bilanz“

Innsbruck (OTS) Vor einem Jahr wurde Karl Nehammer neuer Bundeskanzler. Ein Jahr im Krisenmodus, gerade auch für seine ÖVP, in dem der Kurz-Nachfolger nach einem recht vielversprechenden Start wieder deutlich Boden eingebüßt hat.

Sebastian Kurz war wie kaum einer seiner Vorgänger prägend für die Volkspartei, und er ist es letztlich mit den Folgen seiner unrühmlich zu Ende gegangenen Ära noch immer. Mit Kurz schwang sich die zuvor massiv schwächelnde Volkspartei zu neuen Höhen in der Wählergunst empor und feierte große Wahlsiege im Bund und in den Ländern. Die von ihm geschmiedete Koalition mit der FPÖ platzte nach dem Ibiza-Skandal, die ÖVP und Kurz selbst gerieten in einen Strudel aus Chat- und anderen Affären. Was hier juristisch herauskommen wird, muss abgewartet werden. Was aber mit Sicherheit länger nachwirken wird, ist der noch weiter verstärkte Vertrauensverlust in die Politik. Gerade Kurz hatte ja eine blitz­saubere, ehrliche Politik versprochen.
Kurz musste gehen, weil er sonst auch noch Türkis-Grün gesprengt hätte – zunächst „zur Seite“, um dann einsehen zu müssen, dass die Zeit endgültig abgelaufen ist. Kanzler-Nachfolger Alexander Schallenberg, dem jegliche ÖVP-Hausmacht fehlte, blieb letztlich nicht mehr als eine ganz kurze Episode.
Beim in der Partei gut verankerten Karl Nehammer waren die Erwartungen in der Partei deutlich größer. Nach einem Jahr bleibt seine Zwischenbilanz aber sehr durchwachsen. Nehammer begann recht vielversprechend, ließ auch die zuvor von Kurz doch sehr kleingehaltenen Grünen mehr leben. Die Regierung blieb aber im Dauer-Krisenmodus, Corona war seit Omikron zwar deutlich entschärft, aber doch weiter da. Die umstrittene Impfpflicht wurde wieder abgeblasen. Dann kam der russische Angriff auf die Ukraine und mit diesem Ängste um die Energieversorgung und eine massive Teuerungswelle, die Bevölkerung und Wirtschaft schwer getroffen hat.
Nehammer war als Krisen-Manager gefragt, und da war er, zumal es manchmal auch früher ein Machtwort gebraucht hätte, nicht immer sichtbar. Seine Reise zu Kreml-Herr Wladimir Putin wurde viel kritisiert. Immerhin hat Nehammer aber einen gutgemeinten Versuch unternommen, den sinnlosen Krieg zu beenden. Dieser Anlauf blieb leider erfolglos, aber das waren auch all die Telefonate der Regierungschefs aus weit mächtigeren westlicher Ländern.
Weit stärker ankreiden kann man Nehammer die bis heute ausgebliebene Distanzierung oder Entschuldigung für diverse Affären der Ära Kurz. Das belastet auch den Kanzler und schränkt ihn ein, weil er so immer im Verteidigungsmodus bleiben muss.
Vielleicht auch deshalb liegt die ÖVP in Umfragen heute dort, wo sie vor Kurz gelegen war – nämlich klar hinter SPÖ und FPÖ nur auf Platz 3. Und auch Nehammers Kanzlerbonus ist überschaubar, wenn er auch Pamela Rendi-Wagner und Herbert Kickl gerade noch auf Distanz hält. Luft nach oben gibt es für Nehammer in vielen Bereichen.

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