TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 29. September 2020 von Peter Nindler „Offenbarungseid der Hilflosigkeit“

Innsbruck (OTS) Wenn Politiker bereits Petitionen an sich selbst richten, dann verstehen sie ihre Aufgabe als Volksvertreter völlig falsch. Die Politik ist eigentlich dazu da, Probleme für die Bürger zu lösen. Die Bürgerbeteiligung zu hintertreiben, geht aber gar nicht.

Die Politik lässt bisweilen keine noch so kleine öffentliche Ritze aus, um sich dort breitzumachen. Mitunter erfolgt dadurch ein fragwürdiges Wettrennen um die Gunst in der Bevölkerung. Dass gewählte Mandatare im Bund, Land und in den Gemeinden plötzlich reihenweise Bittgesuche oder Petitionen an die gesetzgebenden Organe einbringen, denen sie selbst angehören, entspricht wohl eher einer politischen Kapitulation denn gelebter Bürgernähe. Zugleich wird die Bürgerbeteiligung bewusst zum parteipolitischen Instrument umfunktioniert.
Am Beispiel der Wolfs-Problematik lässt sich der Missbrauch des Bürgersprachrohrs, wie es der Petitionsausschuss im Landtag oder Nationalrat nun einmal ist, recht gut nachvollziehen. Die Politik hatte über Monate keinen Plan, wie sie mit den Problemwölfen umgehen soll. Generell haben allerdings weder Bund noch Länder einen gesetzlichen Spielraum dafür, weil der Schutzstatus des großen Beutegreifers ein umfassender ist. Doch zuerst wird den betroffenen Schafbauern vollmundig Sand in die Augen gestreut, dass die Politik selbstverständlich Muskeln zeigt. Diese erschlaffen jedoch schnell, weil sich das Problem nicht „mir nix, dir nix“ lösen lässt. Dann gründet sich ein Verein „zum Schutz und Erhalt der Land- und Almwirtschaft in Tirol“, dem die politische Elite der bäuerlichen Funktionäre angehört. Der Obmann und Landwirtschaftskammerpräsident Josef Hechenberger sitzt gleichzeitig im Parlament, wo seine Partei, die ÖVP, tonangebend ist. Gemeindeverband, Wirtschafts- und Arbeiterkammer unterstützen das Anliegen des Vereins. Alles hochrangige ÖVP-Politiker. Ein einzig auf europäischer Ebene zu lösendes Problem wird somit über den Umweg der Vereinsmeierei auf die lokalen Niederungen politisch heruntergestuft.
Jetzt setzt Landtagsvizepräsident Toni Mattle (ÖVP) mit einer von ihm verfassten Wolfs-Petition an den Tiroler Landtag noch eines drauf. Die Abgeordneten, also auch er selbst, sollen sich für wolfsfreie Zonen einsetzen, das Bürgerinstrument „Petitionsausschuss“ ist das Mittel zum Zweck. Mattle vollzieht damit den Offenbarungseid der Hilflosigkeit. Denn eigentlich sollte sich die heimische Politik an den entscheidenden Schalthebeln in Brüssel dafür einsetzen, dass der Schutzstatus des Wolfs in den Alpenregionen reduziert wird. Und sich um europäische Verbündete bemühen. Mit Petitionen und Vereinen bestärken sie lediglich einen von den Bürgern immer wieder erhobenen Vorwurf: Die Politiker denken nur an ihren eigenen Vorteil und bringen in zentralen Fragen kaum etwas weiter.

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