TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 28. September 2017 von Peter Nindler „Bischöfe dürfen ruhig mutig sein“

Innsbruck (OTS) Die katholische Kirche in Tirol ist vielfältig und herausfordernd, von Gegensätzen geprägt und oft von überkommenen Vorstellungen bestimmt. Wie überall in Mitteleuropa befindet sie sich aber in einer Abwärtsspirale.

Für einen Oberhirten ist Innsbruck eine herausfordernde Diözese. Weniger wegen der institutionellen Voraussetzungen, die trotz zweijähriger Bischofsvakanz von der internen Architektur über die Caritas, das Seelsorgeamt bis zur Kirchenbeitragsstelle gut funktionieren. Durch die enge Verbindung von Religion und Tirols Souveränitätsstreben, das im Herz-Jesu-Gelöbnis von 1796 verinnerlicht wird, existiert der öffentlich sichtbar gemachte christliche Volksglaube nach wie vor. Er hat aber ebenso wenig einen repräsentativen Stellenwert wie die Mär vom „heiligen Land Tirol“. Gelebte Tradition ist das eine, die Realität das andere. Schließlich besuchen nur noch 18 Prozent der Katholiken regelmäßig den Gottesdienst, außerdem dokumentiert sich die Überalterung vor den Altären und in den Kirchenbänken. Priestermangel inklusive.
Wie in allen mitteleuropäischen Ländern befindet sich die Kirche in Tirol in der Abwärtsspirale. Wahrscheinlich in der Krise. Denn die Institutionenkritik macht vor ihr nicht Halt. Erneuern, aber wie? Diese Frage stellen sich nicht nur die Verantwortlichen selbst, sondern auch Kirchen- oder Rom-Kritiker. In einem gesellschaftlichen Auseinanderdriften findet sich nur schwer eine Antwort darauf, Kardinal Christoph Schönborn hat bereits 1996 von einem „Abschied von der Volkskirche“ gesprochen.
Gleichzeitig hat die katholische Kirche in Tirol noch ein anderes Gesicht; jenes der Aufmüpfigkeit. Repräsentiert vom verstorbenen Volksbischof Reinhold Stecher, kultiviert und bewahrt von seinen Nachfolgern Alois Kothgasser und Manfred Scheuer sowie überspitzt von der Tiroler Pfarrerinitiative oder der aus dem Kirchenvolksbegehren entstandenden Plattform „Wir sind Kirche“. Die Kirche muss sich öffnen, nicht abschotten, auf die Menschen zugehen, sie nicht ausschließen wie wiederverheiratete Geschiedene. Die Laien sollen noch stärker eingebunden und Frauen endlich gleichberechtigt werden. Und innerkirchliche Prozesse wie eine Bischofsbestellung sind transparent zu machen. Bischof, Seelsorger und Mitarbeiter müssen das alles auch tun und Flagge zeigen. Nicht nur davon reden.
Der neue Innsbrucker Bischof Hermann Glettler hat gleich gezeigt, dass er unkonventionell, offen und einladend ist. Vielleicht wird der neue Bischof für manche Gläubige ein Kulturschock sein, letztlich gilt er aber als Vertreter einer Theologie, die einbindet und nicht ausgrenzt. Zu sehr wurde in der Vergangenheit die Kirche nämlich als Monolith gepflegt, weil der Episkopat die Einheit der Kirche bewahren wollte. Diese liegt im 21. Jahrhundert wohl eher in der Vielfalt. Hoffentlich.

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