TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 25. April 2017 von Michael Sprenger – Zwischen Élysée und Hofburg

Innsbruck (OTS) In Frankreich schaffte es erstmals kein Kandidat der traditionellen Parteien in die Präsidenten-Stichwahl.
Ein schwerer Dämpfer für die Etablierten. Ein Vergleich mit Österreich bietet sich an. Trotz aller Unterschiede.

Die Rechte jubelt. Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National schafft es – wie einst ihr Vater – in die Stichwahl. Die etablierten Parteien in Frankreich befinden sich in Agonie. Doch die EU ist erleichtert. Denn Le Pen wird wohl nicht in den Élysée-Palast einziehen.
Trotz aller Unterschiede zwischen den politischen Systemen erinnert die französische Präsidentenwahl frappant an den Bundespräsidentenwahlkampf. Auch hierzulande erlebten die beiden ehemaligen Volksparteien SPÖ und ÖVP ihr Waterloo. Für ihre Kandidaten Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol war es ein Desaster. In Österreich schaffte dann Alexander Van der Bellen mit einer fulminanten Aufholjagd die Sensation – und deklassierte im zweiten Wahlgang den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer.
In Frankreich hingegen ist der linksliberale Shootingstar Emmanuel Macron jetzt schon der erklärte Favorit. Anders als in Österreich (mit Ausnahme von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner) wurde von den französischen Konservativen noch am Sonntagabend ein Cordon sanitaire errichtet, um Le Pen zu verhindern. So wie die gedemütigten Sozialisten gaben die Konservativen eine Wahlempfehlung für Macron ab.
Doch damit sind die Unterschiede aufgezählt. Der Bundespräsident ist von der Verfassung her als Art Ersatzkaiser vorgesehen. Die politische Macht geht von Regierung und Kanzler aus. Dies mag ein Grund dafür sein, dass der Schock des Wahlergebnisses für die etablierten Parteien kein heilsamer war. SPÖ und ÖVP arbeiten weiterhin so gegeneinander, als hätte es die Hofburgwahl nie gegeben. Beide hatten nach dem Wahlfiasko nicht den Mut zu einem Neugründungsparteitag. Die ÖVP schüttelte sich ab wie ein nasser Pudel, die SPÖ tauschte ihren Vorsitzenden aus. Das war’s dann! Und was passiert jetzt in Frankreich? Bei aller Erleichterung darüber, Le Pen wohl (noch einmal) zu verhindern, steht Macron vor einer Herkulesaufgabe. Der französische Wirtschaftsmotor stottert, Reformen sind überfällig. Macron benötigt für seine Vorhaben allerdings eine parlamentarische Mehrheit. Seine Bewegung „En Marche!“ ist freilich gerade einmal ein Jahr alt. Ob sie bei den Parlamentswahlen im Juni eine Mehrheit erzielt, gilt als ungewiss. Heute jubelt Frankreich. Nur die Rechten zu verhindern, ist als Programm aber zu wenig. In Frankreich ebenso wie in Österreich und der Europäischen Union.

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