TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 24. Juli 2019 von Christian Jentsch „Johnsons Spiel mit der Wahrheit“

Innsbruck (OTS) Großbritanniens neuer Premierminister ist ein Meister der Inszenierung. Die Fakten interessieren ihn nur am Rande – vor allem beim Brexit, den Boris Johnson auch ohne Deal mit der EU vollziehen will.

Das Vereinigte Königreich lag zuletzt im politischen Wachkoma. Gefangen im Labyrinth des Brexit-Pokers übten sich die Regierung und das Parlament in Blockaden, der Austrittstermin musste zweimal verschoben werden, Regierungschefin Theresa May schlussendlich zurücktreten. Nun soll es ein gewisser Boris Johnson als neuer Tory-Chef und vor allem als neuer Premier richten und Großbritannien aus der EU führen. Jener Johnson, der die Brexit-Befürworter als Frontman zum Sieg beim Referendum im Juni 2016 führte und dann den Brexit-Kurs der scheidenden Premierministerin Theresa May nach Kräften torpedierte. Nun ist er am Ziel angelangt, heute wird er zum neuen britischen Regierungschef gekürt. Rund 92.000 von 160.000 Mitgliedern der konservativen Tories votierten bei einer parteiinternen Abstimmung für ihn.
Boris Johnson hat die Parteibasis der Tories mit einer ganz einfachen Botschaft für sich gewinnen können: Mit ihm wird Großbritannien die EU spätestens am 31. Oktober verlassen – koste es, was es wolle. Falls die EU das Austrittsabkommen nicht neu verhandeln wolle und etwa den so genannten Backstop entsorge, komme es zu Halloween eben zu einem harten Brexit ohne Abkommen. Die Erzählung lautet:
Großbritannien, befreit von den Ketten Europas, könne zu alter Größe zurückfinden. Und US-Präsident Donald Trump lockt ja bereits mit einem „phänomenalen“ Handelsabkommen mit den Briten und sieht das Ende der EU heraufdämmern. Die Warnungen nicht nur von Seiten der Wirtschaft, dass ein abruptes Kappen der Bande mit der EU fatale Konsequenzen für viele britische Unternehmen hätte, wischt Johnson beiseite. Den Warnern fehle es schlicht an Mut, ließ er verkünden. Einen Plan, wie er den Brexit über die Bühne bringen will, blieb er bisher schuldig. Es geht um die Inszenierung, weniger um Fakten und konkrete Schritte. Es geht auch nicht darum, ob Johnson wirklich vom Bruch mit der EU überzeugt war und ist. Entscheidend ist, dass er mit seiner Kampagne die Spitze der Regierung erklimmen konnte. Als er während der Brexit-Kampagne vor dem Referendum behauptete, London überweise pro Woche rund 390 Mio. Euro an Brüssel, die nach dem Austritt dem nationalen Gesundheitssystem zugutekommen würden, war das glatt gelogen. Vielmehr könnte es dem staatlichen Gesundheitssystem in einem künftigen Abkommen mit den USA an den Kragen gehen. Die Zahlungen der EU an die Briten verschwieg er natürlich. Mit der Wahrheit nahm es Johnson nie so genau. Emotionen schlagen Fakten, bei diesem Spiel weiß er zu glänzen.

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