Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 23. September 2018 von Peter Nindler. „Eine mutige Reform ohne Applaus“.

Innsbruck (OTS) Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hat bei der längst fälligen Strukturreform der Sozialversicherungen zu viel Porzellan zerschlagen. Die ÖVP ließ sie gewähren und trieb dadurch auch einen Keil in die eigene Partei.

Die Reform der Sozialversicherungen ist ein Lehrbeispiel dafür, wie die Politik mit einer zweifellos applausverdächtigen Strukturbereinigung bei den 21 Krankenkassen in eine Negativspirale gerät. Denn über Monate hinweg wurde mit verdeckten Karten gespielt, Verunsicherung geschürt und das bisherige System der Selbstverwaltung mit Arbeiter- und Wirtschaftskammerfunktionären in Misskredit gebracht. Und selbst die ÖVP-Gesundheitsreferenten mussten wegen der geplanten Verschiebungen von regionalen Kompetenzen in eine zentrale Verwaltung lange schlucken. Wie in Tirol.
Schließlich ist die Tiroler Gebietskrankenkasse einer der Haupt-Finanziers des regionalen Gesundheitssystems. Schluss-
endlich hatte man das Gefühl, dass es Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) gar nicht um mehr Effizienz in der Gesundheitspolitik einschließlich ihrer Finanzierung geht, sondern um größeren Einfluss bei den Sozialversicherungen.
Trotzdem: Fünf Krankenkassen reichen in Öster­reich aus. Das war längst überfällig. Auch die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse macht Sinn. Dass Tirol auf regionale Spielräume für die Gesundheitspolitik beharrt, ist freilich nachvollziehbar. Zu viel wurde schon zentralisiert, zu oft muss die Landespolitik seither nach Wien pilgern. Aber eigentlich sind nicht die Kassen das strukturelle Problem im Gesundheitswesen, sondern die intransparenten Kompetenzen sowie Finanzierungsströme zwischen Bund und Ländern. Doch bisher umschifft die Regierung diese ebenfalls notwendige Reform mit Bravour.
Mit dem hoppertatschigen Veränderungsmanagement über die Köpfe der Betroffenen hinweg wurde mit der Kassenreform allerdings auch ein tiefer Keil in die Sozialpartnerschaft und die ÖVP getrieben. Der schwarze Arbeitnehmerbund, vor allem mit den Arbeiterkammerpräsidenten in Tirol und Vorarlberg, konnte bei der vielfach kritisierten Aushebelung der Arbeitnehmervertretung in der Selbstverwaltung nicht mehr mit. Offensichtlich hat die türkis-blaue Regierung den schwarzen Kollateralschaden im Westen in Kauf genommen, um die roten Gewerkschafter in den anderen Bundesländern zu stutzen. Diese außerparlamentarische SPÖ-Bastion funktioniert ja noch, im Gegensatz zur sinnkriselnden Partei.
Jetzt liegt die Sozialversicherungsreform auf dem Tisch. Sie ist mutig und notwendig. Doch die parteipolitisch motivierte Begleitmusik und die dilettantisch vorbereitete Ausführung ersticken vorerst den Applaus.

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