Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 23. September 2018 von Michael Sprenger. „Die Vernunft ist nicht mehrheitsfähig.

Innsbruck (OTS) Gegen Ungarn wurde ein Rechtsstaatsverfahren eingeleitet. Viktor Orbán ist dies egal. Kommissionspräsident Juncker fordert ein einheitliches Europa. Doch er wird wenig Gehör finden. Damit wäre die Krise Europas besiegelt.

yörgy Konrád zählt zu den wichtigsten Stimmen Ungarns. Der Essayist und Schriftsteller ließ sich trotz eines Publikationsverbots unter den Kommunisten nicht brechen, kämpfte zeitlebens gegen die Resignation.
Eingedenk des jugoslawischen Bruderkriegs bezeichnet er den Nationalismus als „kichernden Wahnsinn an den Rändern Europas“. Der Träger des Karlspreises erhob immer seine Stimme, wenn er die Menschen- und Grundrechte in Gefahr sah. Seit Jahren auch in seiner Heimat, wo die Politik des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán immer autoritärere Züge annahm. Konráds Aufrufe zur Wachsamkeit gegenüber der illiberalen Demokratie und dem „kichernden Wahnsinn“, der sich längst in Europa breitgemacht hat, konnte da mit der akutellen Entwicklung nicht mehr Schritt halten.
Spät reagierte nun das Europaparlament mit der Einleitung eines Rechtsstaatsverfahrens gegen Ungarn. Es geht um die Verteidigung der Werte Europas, die in Ungarn zusehends als wertlos erachtet werden. Die Dramaturgie des gestrigen Tages wollte es so, dass vor der Abstimmung über Ungarn EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker seine wohl letzte Rede zur Lage der Union hielt. Seine Rede wurde zu einem eindringlichen Appell an die Einheit der Union, er beschwört ein stärkeres und souveränes Europa.
Doch wird er auch Gehör finden? Die Vernunft weiß, dass nur ein geeintes Europa eine Antwort auf die globalen Herausforderungen sein kann. Doch was heißt geeint? Jedenfalls muss dies eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik beinhalten, eine gemeinsame Integrations- und Migrationspolitik, das Ende der nationalstaatlichen Egoismen – samt Verteidigung der europäischen Grundrechte.
Doch die Vernunft scheint nicht mehrheitsfähig zu sein. Denn nicht die Kommission ist das Problem, schon gar nicht das Europaparlament. Europa krankt an den nationalen Regierungen, die nicht bereit sind, zugunsten Europas Macht abzugeben. Junckers Rede hört sich zwar an wie ein Gegenentwurf zur dreist-trotzigen Abrechnung Orbáns mit der Europäischen Union. Doch diesem scheint dies alles egal zu sein, weiß Orbán doch bei sich, mit seiner Haltung nicht alleine zu sein.
Was uns Europäern fehlt, sind die Kraft und der Wille, Europa neu zu denken und dann dafür zu kämpfen. Mag sein, dass dies utopisch klingt. Aber Konrád lehrte uns: „Der Mensch wird dumm und häßlich, wenn er keine Utopie hat.“

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