TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 20. September 2018 von Michael Sprenger „Parteichef mit Eigenschaften gesucht“

Innsbruck (OTS) Die Roten suchen einen Nachfolger für Christian Kern. Sind die Sozialdemokraten bereit, ihren ausgetretenen Weg zu verlassen? Die Schwächen der SPÖ sind seit Jahren bekannt. Was bislang fehlte, war der Mut zum Handeln.

Intellektuell, eloquent, schlagfertig. All diese Eigenschaften hat Christian Kern. Diese bildeten die Basis, die nach dem Rücktritt von Werner Faymann aus Kern rasch einen Hoffnungsträger einer damals ausgedörrten Sozialdemokratie gemacht hat.
All diese Attribute sollte auch seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger haben. Doch dies alleine ist zu wenig – wie das Ende des SPÖ-Vorsitzenden veranschaulicht. Kern war zu gutgläubig, er hatte bei der Auswahl seines Mitarbeiterstabs oft keine gute Hand. Ihm fehlte im politischen Alltagsgeschäft die notwendige Kaltschnäuzigkeit – er unterschätzte seine Gegner. Und, das scheint sein wirkliches Manko gewesen zu sein: Kern hatte zwar immer eine politische Idee, untermauerte dies mit einem vorgezeichneten Weg, formulierte ein Ziel – aber er handelte oft nicht danach, wich vom eingeschlagenen Weg ab, ließ seine engsten Vertrauten oft verdutzt und irritiert zurück. Kern ist mitunter ein Taktiker, aber kein Stratege.
Die rechtskonservative Bundesregierung hingegen hat einen Plan. Ihr geht es um die Hegemonie im Land. Sie will die Vormachtstellung langfristig absichern, indem sie die Republik umbaut.
Wer immer Kern nachfolgt, er oder sie hat es mit einer schwerfälligen und strukturkonservativen Partei zu tun. In den meisten Bundesländern herrscht Agonie, die SPÖ verabsäumte es seit Jahren, in den politischen Nachwuchs zu investieren. Viele in der Partei nützen ihre Kraft nur noch dazu, ihre Pfründe zu verteidigen, Seilschaften zu pflegen. Die Außenwirkung der Partei ist dabei sehr egal.
Wenn die SPÖ aber keinen strategischen Gegenentwurf zur Regierung hat, nicht dafür brennt und ihn mit Leidenschaft verfolgt, wird sie scheitern.
Die neue Frau oder der neue Mann an der Spitze der Sozialdemokratie braucht sich Sebastian Kurz nicht zum Vorbild zu nehmen. Wenn aber das Projekt des Umbaus der Partei samt einer einheitlichen politischen Ausrichtung angegangen werden soll, dann kann dies nur zu Beginn der Vorsitzführung passieren. Doch ist die SPÖ überhaupt bereit, mit alten Gewohnheiten zu brechen, einen neuen Weg einzuschlagen, Sonntagsreden über Solidarität und Gerechtigkeit auch Taten folgen zu lassen?
Vieles deutet darauf hin, dass dies nicht passieren wird. Kern hatte einst den Willen, den ausgetretenen Weg zu verlassen. Doch ihn verließ der Mut. Ein sozialdemokratisches Dilemma.

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