TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 20. Mai 2023 von Wolfgang Sablatnig „Sicherheitspolitik aus der Hüfte“

Innsbruck (OTS) Soll sich Österreich in der Ukraine an der Minenräumung beteiligen? Jetzt rächt sich, dass wichtige Debatten unter dem Deckmantel der Neutralität nie geführt wurden – auch mehr als ein Jahr nach dem Angriff auf die Ukraine nicht.

Gestern legte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nach. Er bekräftigte die Festlegung der türkisen Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, dass nämlich Österreich keine Soldaten zur Minenräumung in die Ukraine entsenden werde. Am Feiertag hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen sein Unverständnis über das österreichische Zögern in dieser Frage geäußert. FPÖ-Chef Herbert Kickl gab den Kämpfer für die Neutralität. Die NEOS forderten eine ernsthafte Prüfung.
Mit Nehammer war die Runde komplett. Jede Seite setzte ihre Duftmarke ab. Neu war die ausdrückliche Festlegung des Bundespräsidenten in einer tagespolitischen Frage. So läuft das Tagesgeschäft im polit-
medialen Business. Nur die Menschen in der Ukraine haben von all dem nichts, dort, wo der Krieg schrecklicher Alltag ist.
Mehr als ein Jahr nach dem russischen Überfall wäre es höchst an der Zeit, die sicherheitspolitische Diskussion zu führen. Was heißt Sicherheit im Angesicht eines Aggressors, der nicht nur ein Nachbarland angreift, sondern auch die Nachkriegsordnung und die westlich-liberalen Werte der Freiheit und der Selbstbestimmung?
Mit unerträglich langer Verzögerung will sich Nehammer dieser Debatte stellen. Wie sehr er sich einem Für und Wider öffnet, muss sich aber erst zeigen. Denn ein zentrales Ergebnis setzt er voraus: dass nämlich die Neutralität nicht angetastet wird.
Nur um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Neutralität hat ihre Verdienste und ihren Wert. Am Ende kann sich herausstellen, dass sie das Mittel der Wahl ist. Schon am Beginn das Ergebnis vorwegzunehmen, droht aber den Diskussionsprozess zur Farce verkommen zu lassen.
Mit dem Überfall auf die Ukraine sind Bedrohungen und Herausforderungen wieder so nahe gerückt, wie wir uns das jahrzehntelang nicht haben vorstellen können. Die Frage der Minenräumung in der Ukraine ist nur ein Punkt. Weitere werden folgen.
Dabei sollte die Frage der Minenräumung als humanitäre Aktion noch recht einfach zu beantworten sein. Aber was wäre, wenn der Konflikt in der Ukraine auf einen EU-Staat übergreift? Wie weit die Solidarität dann gehen würde, haben wir auch noch nicht beantwortet.
Nicht für jeden Fall kann es einen Plan geben. Es kann und muss aber Linien geben, an denen sich die handelnden Personen orientieren können, vom Bundespräsidenten und dem Kanzler abwärts.
Sonst bleibt ihnen allen nur der sicherheitspolitische Hüftschuss wie in Sachen Minenräumung. Glaubwürdigkeit gewinnt Österreich damit nicht.

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