TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 19. September 2018 von Michael Sprenger „Das rote Tollhaus“

Innsbruck (OTS) Christian Kern startete als Hoffnungsträger. Mit dem angekündigten Rücktritt als Parteichef und seiner Nominierung zum Kandidaten für die EU-Wahl übt er Selbstbeschädigung – und löst in der SPÖ Fassungslosigkeit aus.

Aufbruchsstimmung! So wurde die Atmosphäre beschrieben in der Partei, als Christian Kern im Mai 2016 nach dem Rücktritt von Werner Faymann zuerst die angezählte SPÖ übernahm und ihm dann als Kanzler nachfolgte.
Doch schon bald machte sich Ernüchterung breit. Die nach außen hin gezeigte Geschlossenheit, für die die Sozialdemokratie jahrelang bekannt war, wollte sich nicht einstellen. Es bildeten sich Seilschaften, auch welche, die gegen den neuen Parteivorsitzenden quertrieben. In den meisten Bundesländern wurde fröhlich weitergewurschtelt. Als dann nach dem Rücktritt von ÖVP-Obmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner von dessen Nachfolger Sebastian Kurz die Weichen auf Wahl gestellt worden waren, war zweierlei sichtbar: In der Partei hatte Kern von Anfang an zu wenige Weggefährten, auf die er sich verlassen konnte. Daraus resultierte ein desaströser Wahlkampf mit dem bekannten Ergebnis. Zudem erarbeitete er sich das Image eines Zauderers, der seinen eingeschlagenen Weg immer wieder selbst verließ. Durch seine gestrige Volte hat er sich geradezu zum Meister in diesem Fach stilisiert.
Es wird jetzt an Kern liegen, offen zu kommunizieren, was sich am gestrigen Dienstag im innersten Parteizirkel tatsächlich zugetragen hat. Gab es Heckenschützen in der Partei, die Kern zum Abschuss freigegeben haben, indem sie seinen Plan – allerdings nur den, sich als SPÖ-Chef zurückzuziehen – den Medien zugespielt haben? Und wollten sie damit auf fies-elegante Weise vollendete Tatsachen schaffen? Oder war es so, auch dafür spricht viel, dass Kern seinen überraschenden Rückzug zwar geplant hatte, aber es sich, aus welch einem Grund auch immer, dann plötzlich auf halbem Weg anders überlegte? Zumindest verkündete er dann am Abend, dass er SPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl wird – und erst nach der Wahl im Mai den Parteivorsitz abgibt.
Beide Varianten laufen auf dasselbe Ergebnis hinaus. Der Parteivorsitzende ist seit gestern schwer beschädigt. Entweder, weil ihn ein Teil der Partei mit aller ihrer innewohnenden Niedertracht politisch amputieren will. Oder, weil sich der Zauderer ein letztes Mal auf offener Bühne selbst beschädigt hat.
Für die Partei mag dies egal sein. Denn ÖVP und FPÖ können jedenfalls jubeln. Die SPÖ ist zu einem Tollhaus verkommen. Die Genossen befinden sich in Schockstarre. In der einst so stolzen Partei herrscht Fassungslosigkeit.

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