TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 19. Dezember 2022 von Florian Madl „Katar, Mahnmal einer Fehlentwicklung“

Innsbruck (OTS) Die Katar-WM bleibt als Mahnmal einer Fehlentwicklung in Erinnerung, der Westen kann sich seinen Ärger über die Vergabe sparen. Solange Sportverbände keine Kriterien formulieren, werden Scheindebatten an der Tagesordnung bleiben.

Es war nicht das Alkoholverbot rund um die Stadien Katars, auch nicht das Verbot der Regenbogenbinde oder der verbale Ausrutscher eines Organisationschefs zum Thema Homosexualität. Es waren nicht die angeheuerten Fans, weil die Mehrzahl der 300.000 Katarer entweder vorzeitig das Stadion verließ oder dort gar nicht erst auftauchte. Vielmehr war es das ernüchternde Gesamtbild, das diese Fußball-Weltmeisterschaft abseits sportlicher Höhepunkte bot:
Wieder hatte es ein großer Sportverband verabsäumt, sich zu positionieren. Und wieder einmal regte sich der Ärger der Weltöffentlichkeit erst, als es längst zu spät war – in diesem Fall zwölf Jahre nach der Vergabe. Die orientierte sich nicht an demokratischen oder ökologischen Gesichtspunkten, sondern ausschließlich an ökonomischen. Nicht einmal ein neuer Fußballmarkt wurde erschlossen, denn die Fußball-Szene Katars darbt auch nach der WM im Keller der internationalen Wahrnehmung. Spitzen-Klubs im Ausland wie Paris Saint-Germain werden angekauft und alternde Stars verdingen sich als Farbtupfer der viertklassigen Liga rund um die Hauptstadt Doha.
Plötzlich war sie da, die Verwunderung über eine Advent-WM in einem arabischen Land. Eine Empörung, von der man jahrelang nichts vernahm und die pünktlich vor der Eröffnung ausbrach, als hätte man nichts davon gewusst.
Es lebt die Hoffnung, dass Katar als letztes Erbe der Ära Sepp Blatter, des Schweizer Ex-Präsidenten, bestehen bleibt. Ein Mahnmal für gescheitertes und bisweilen korruptes Funktionärstum, das sich von politischen und wirtschaftlichen Protagonisten vereinnahmen lässt. Dass zuletzt das Internationale Olympische Komitee die Entscheidung über die Vergabe der Olympischen Winterspiele 2030 aus Gründen des Klimawandels verschob, wozu auch die Universität Innsbruck mit einer Studie beitrug, könnte den ersten Ansatz für eine Trendwende darstellen. Zweifel bleiben jedoch, seit unlängst das asiatische Olympia-Komitee die kontinentalen Winterspiele 2029 in einen Wüstenort Saudi-Arabiens vergab, der noch nicht einmal gebaut wurde.
Der Westen muss sich überlegen, ob er weiterhin mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt gehen will, um mit Regimen über die Hintertür Rohstoffe auszuhandeln. Die Katar-WM firmiert als Gipfel einer Entwicklung, die schon viel früher (und mit europäischem Zutun) ihren Ausgang genommen hat. Sport kann, frei nach Nelson Mandela, die Welt zu einer besseren machen. Aber er kann auch bestehende Strukturen festigen.

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