TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 17.Mai 2019 von Christian Jentsch – „Eine Melkkuh namens Europa“

Innsbruck (OTS) Polen steht vor zwei Richtungswahlen. Die Zustimmung zur Europäischen Union ist
bei der Bevölkerung ungebrochen. Doch die Regierung spielt ein doppeltes Spiel.

Im Europawahlkampf gibt sich Polens nationalkonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die sonst so europakritisch auftritt, plötzlich ganz europafreundlich. Polen sei das Herz Europas, heißt es in den Wahlkampfslogans. Dabei wettert man üblicherweise mit Vorliebe gegen Brüssel und warnt vor jenen, die innerhalb der Europäischen Union angeblich Polen übervorteilen und schaden wollen.
In der PiS, die von Parteichef Jaroslaw Kaczynski, dem eigentlichen starken Mann in Warschau, aus dem Hintergrund gelenkt wird, pflegt man die Opferrolle – auch innerhalb der EU. Und geißelt das von der EU-Kommission nach der umstrittenen Justizreform eingeleitete Rechtsstaatsverfahren als Angriff auf das Land. In Sachen gemeinsames europäisches Fundament, Wertegemeinschaft und Rechtsstaatlichkeit – ein unverrückbares Grundprinzip der EU – will man sich von Brüssel nichts sagen lassen.
Auf der anderen Seite muss die nationalkonservative Regierungspartei das Wort Polexit – in Anlehnung an den Brexit – tunlichst vermeiden. Immerhin steht die EU-Mitgliedschaft Polens bei der Bevölkerung äußerst hoch im Kurs, bis zu 90 Prozent sind in aktuellen Umfragen dafür. Einen Austritt würden sie mit überwältigender Mehrheit ablehnen. Und: Die Regierungspartei PiS braucht die Zahlungen aus Brüssel, auch um ihre teuren Wahlzuckerln zu finanzieren.
Vor den EU-Wahlen am 26. Mai und den Parlamentswahlen im Herbst, bei denen die PiS ihre absolute Mehrheit unbedingt halten will, setzt sie auf Wahlgeschenke, die Milliarden Euro kosten – darunter mehr Kindergeld, mehr Pension und mehr Förderung für Bauern.
Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 sind netto rund 100 Milliarden Euro nach Polen geflossen. Sicher, Polen hat viel daraus gemacht. Das Land galt lange als der Musterknabe Europas. Die Wirtschaft brummt, auch in der Finanzkrise rutschte das Land nicht in die Rezession, die Einkommen steigen. Im Binnenmarkt und dank üppiger Strukturhilfen aus Brüssel wurde ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung in Gang gesetzt.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Nationalkonservativen ihr Land nun freiwillig ins Abseits bugsieren. Europa nur als Melkkuh zu gebrauchen, schafft allerdings wenig Freunde. Die meisten Polen wollen ein vollwertiger Teil von Europa sein. Das ist auch ein Auftrag an die Regierenden in Warschau.

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