TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 17. Jänner 2018 von Floo Weißmann „Europa lockt“

Innsbruck (OTS) In Großbritannien wächst die Brexit-Skepsis, ein mögliches zweites Referendum steht im Raum.
Plötzlich erscheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Briten am Ende doch in der EU bleiben.

Räumlich gesehen ist der EU-Ratspräsident gestern zwar vor dem EU-Parlament aufgetreten. In Wahrheit aber sprach Donald Tusk weniger zu den dortigen Abgeordneten als zu den Briten. Botschaft: Wenn ihr dabei bleibt, aus der Europäischen Union auszuscheiden, dann können nächstes Jahr schlimme Dinge passieren. Aber das muss nicht sein – ihr könnt nämlich auch bei uns bleiben.
Wie verlockend dieses Angebot für viele auf der Insel klingen mag, lässt sich an der raschen und kategorischen Ablehnung von Premierministerin Theresa May ablesen. Sie hatte es eilig, die Idee vom Ausstieg aus dem Ausstieg wieder vom Tisch zu fegen.
Hintergrund ist die wachsende Brexit-Skepsis in Großbritannien. Die Verhandlungen mit der EU laufen schleppend, Warnungen aus der Wirtschaft werden lauter. Immer mehr Briten dämmert wohl, dass nach dem Brexit nicht automatisch alles besser wird, wie die Befürworter versprochen hatten – eher im Gegenteil. Und das unter mit einer Regierungschefin, die selbst in der eigenen Partei nur gelitten ist. In Umfragen liegen die Brexit-Gegner wieder vorne. Zwar würden die meisten, die am Referendum teilgenommen haben, wieder gleich abstimmen. Aber von jenen, die ferngeblieben sind, wären vielleicht viele für ein zweites Referendum mobilisierbar. Die britische Regierung könnte über den mit der EU ausgehandelten Vertrag abstimmen lassen – Motto: Brexit unter diesen Bedingungen oder Verbleib in Europa. Das wäre eine konkretere Vorlage als beim ersten Anlauf, und es würde nur bedingt danach aussehen, dass man das Volk so oft befragt, bis es richtig wählt.
Tusk und andere EU-Politiker nutzen die aktuelle Schwäche der Brexit-Befürworter. Die meisten EU-Partner würden Großbritannien gerne als Mitglied halten, schon allein aus finanziellen und weltpolitischen Überlegungen – oder einfach nur aus Genugtuung. Allerdings wäre mit den widerspenstigen Briten an Bord auch die vielbeschworene Chance vertan, mit dem europäischen Boot neue Ufer zu erreichen. Die einzige EU-Reform, die London stets forderte, heißt weniger Europa und mehr Nationalstaat. Aber diese Haltung findet ja auch anderswo immer mehr Befürworter.
Vorerst bleiben derartige Überlegungen eher theoretisch. Premierministerin May steht unter dem Druck des Brexit-Flügels ihrer Partei, der schon ihren Amtsvorgänger ins Referendum getrieben hatte. Aber Tusk und Co. säen Zweifel, ob der Brexit die einzig mögliche Zukunft darstellt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass daraus einmal etwas erwächst.

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