TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 13. Jänner 2023 von Michael Sprenger „Plädoyer für eine Debattenkultur“

Innsbruck (OTS) Das Parlament wurde geschmackvoll saniert und detailgetreu restauriert. Das Geld wurde gut in die Hardware investiert. Jetzt bedarf es jedoch einer Renovierung des Parlamentarismus. Demokratie benötigt eine Firewall.

Nach fünf Jahren Sanierung und Modernisierung strahlt das denkmalgeschützte Gebäude mit Rathaus, Burgtheater und Oper um die Wette. Die Kosten für die Rundumerneuerung mögen mit knapp 500 Millionen Euro hoch sein, doch es sollte uns das allemal wert sein.
Dort also, wo auf der Parlamentsrampe die Erste Republik ausgerufen wurde, dort, wo unter der Anleitung des christlichsozialen Kanzlers Engelbert Dollfuß der Parlamentarismus zu Grabe getragen wurde, dort, wo die Nationalsozialisten, von der Ringstraße gut sicht- und lesbar, ihr Spruchband „Das Volk regiert“ angebracht hatten, wird wieder politisiert.
Der Zynismus der Nazis sollte uns ruhig eine Warnung sein, wenn die Abgeordneten wieder ihr politisches Zuhause bezogen haben. Wenn Mandatare so gerne behaupten, die Stimme des Volkes sprechen zu lassen, sollten wir achtsam sein: Denn wenn das Volk nur eine Stimme hat, hat es meist nichts mehr zu melden.
Nein, es marschieren keine Braunhemden über den Ring. Aber ein Blick in die USA, nach Brasilien oder Ungarn und in die Türkei führt uns vor Augen: Demokratie steht längst auf dem Prüfstand. Ein lebendiger Parlamentarismus könnte als schützende Firewall dienen. Dafür benötigt es selbstbewusste Abgeordnete, keine willfährigen Parteisoldaten. Es braucht eine Debattenkultur, die darauf abzielt, mit Parteifreund und politischem Gegner in den argumentativen Dialog zu treten. Nennen Sie diese Debattenkultur ruhig Streit. Doch der Streit, so lernten wir vom früheren deutschen Kanzler Helmut Schmidt, ist elementar für eine Demokratie.
Parlamentarismus und Demokratie müssen sich mit Bedacht weiterentwickeln. Österreichs Politik hat nun ein geschmackvoll renoviertes Haus, aber einen immer wieder beklagenswerten Parlamentarismus. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer war bislang die letzte Politikerin, die einen umfassenden Reformvorschlag präsentierte. Er wurde österreichisch behandelt: nicht einmal ignoriert. Ein Fehler. Prammers Vorschlag basierte auf dem norwegischen Modell. Kurz zusammengefasst und übersetzt: Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre. Scheitert eine Koalition, muss eine neue Regierung angelobt werden. Das Parlament bleibt aber bis zum regulären Wahltermin im Amt. Diese Reform wertet das Parlament auf, die Erpressbarkeit mit einer Neuwahl hätte ausgedient. Prammer ist zu danken, dass das Parlament heute im neuen Glanz erscheint. Eine (späte) Debatte über ihren Vorschlag hätte sie sich verdient. Das Hohe Haus auch.

Rückfragen & Kontakt:

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com



Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.

Eigenes Pressefach für Ihre Pressemeldungen - Pressefach.eu

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen