TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 10. Jänner 2023 von Christian Jentsch „Demokratie am seidenen Faden“

Innsbruck (OTS) In Brasilien stürmten Anhänger des ultrarechten Ex-Präsidenten Bolsonaro eine Woche nach der Amtsübernahme des linken Präsidenten Lula das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília. Nicht nur Brasiliens Demokratie ist in Gefahr.

Der Angriff der radikalen Anhänger des ultrarechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro auf das Parlament, den Regierungssitz und den Obersten Gerichtshof in der Hauptstadt Brasília am Sonntag, eine Woche nach dem Amtsantritt des Linkspolitikers Lula, war nichts anderes als ein Angriff auf Brasiliens Demokratie. Und es war ein Angriff mit Ansage. In den vergangenen Tagen strömten Tausende Anhänger Bolsonaros in die brasilianische Hauptstadt. Und sie belagerten seit Tagen das Hauptquartier der Streitkräfte in Brasília. Die Anhänger Bolsonaros erkennen – wie der autoritäre Brachialpolitiker selbst – den Sieg des linken Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva bei der Stichwahl vom 30. Oktober nicht an. Und sie fordern das Militär auf, wieder die Macht zu übernehmen. In einem Land, das sich Mitte der Achtzigerjahre aus den Fängen einer Militärdiktatur befreien konnte und sich zunehmend zu einer demokratisch stabilen Wirtschaftsgroßmacht zu entwickeln schien. Doch der ehemalige Fallschirmjäger-Hauptmann Bolsonaro, der von Anfang 2019 bis Ende 2022 an der Spitze des größten südamerikanischen Landes stand, versuchte nach Kräften, die Säulen der brasilianischen Demokratie einzureißen. Was dem Autokraten Bolsonaro nicht gelang, versuchten nun seine Anhänger nach der Amtsübernahme des linken Präsidenten Lula in die Tat umzusetzen: den Sturm auf die Demokratie. Die Polizei stellte sich den Angreifern vorerst nicht entgegen. Und der zuständige Gouverneur des Bundesbezirks Brasília sowie der Sicherheitschef von Brasília – Ibaneis Rocha und Anderson Torres gelten als Gefolgsleute des Ex-Präsidenten Bolsonaro – zeigten sich im Vorfeld trotz klarer Vorzeichen nicht gewillt, die Sicherheitsmaßnahmen zu verstärken. Bolsonaro hat in der Polizei und beim Militär zahlreiche Anhänger. Der Angriff auf Brasiliens Demokratie ist längst noch nicht vereitelt, während der ultrarechte Ex-Präsident von Florida aus die Lage beobachtet.
Die Ereignisse in Brasília wecken Erinnerungen an den Sturm radikaler Trump-Anhänger auf das Kapitol, den Sitz des US-Kongresses in Washington, vor zwei Jahren. Auch damals sollte der demokratische Machtwechsel von US-Präsident Donald Trump hin zu seinem Nachfolger Joe Biden verhindert werden. Und das in der am längsten bestehenden Demokratie der Welt. Ein Ereignis mit Symbolcharakter, von dem sich zahlreiche US-Republikaner bis heute nicht distanziert haben. Die Säulen der Demokratie sind in vielen – auch westlichen – Staaten ins Wanken geraten. Autokraten und Diktatoren sind auf dem Vormarsch. Eine Entwicklung, der sich gewählte Politiker und die Zivilgesellschaft mit aller Kraft entgegenstemmen müssen.

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