TIROLER TAGESZEITUNG: Leitartikel vom 1. September 2017 von Michael Sprenger – Wir empören uns!

Innsbruck (OTS) - Was haben Alfred Gusenbauer, Sebastian Kurz und die Kirche gemein? Sie alle werden kritisiert. Vor allem von jenen, die mit SPÖ, ÖVP und Christentum wenig bis gar nichts am Hut haben. Ein Abgesang an die Betroffenheitskünstler.

Zwischen Glücksspielkonzern und autoritärem Regime: Was ist bitte an den Geschäften des Alfred Gusenbauer noch sozialdemokratisch? Wie verlogen sind doch die Kirchenmänner: Frauen haben immer noch nichts zu melden, kleine Buben müssen Angst haben. Vieles wird zugedeckt. Versteht man das heutzutage unter Christentum? Und wer kann bitte erklären, warum gestandene ÖVPler einem 31-Jährigen huldigen, der eine föderale Partei nach seinem Gutdünken umbaut, umfärbt und keinen Widerspruch mehr duldet? Dafür klatschen alle und rufen: „Sebastian!“ Das nennt man also jetzt Bewegung?
Natürlich ist es legitim, die neue Arbeitswelt eines früheren sozialdemokratischen Bundeskanzlers kritisch zu hinterfragen. Es ist keinesfalls ketzerisch, bei der Kirche auf den tiefen Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit hinzuweisen. Und wenn in der Politik ein Messias angekündigt wird, sollte Zurückhaltung angebracht sein, will man als Kind der Aufklärung ernst genommen werden. Skepsis ist allemal ein probates Mittel, sich Neuem anzunähern – oder sich mit Veränderungen auseinanderzusetzen. Hellhörigkeit ist kein Fehler, wenn große Reformen verkündet werden. Zu oft musste dieses an sich positiv besetzte Wort für eine negative Entwicklung herhalten. Dies alles passiert. Auch in den besagten drei Beispielen. Doch wir sind heutzutage mit einem zusätzlichen Phänomen, einem lauten, konfrontiert. Wie im Fall Gusenbauer: Medial breit unterstützt, wird das Lied der Empörung angestimmt. Am meisten echauffieren sich dabei jene, die mit der Sozialdemokratie nichts am Hut haben, außer ihr den Untergang zu wünschen. Mit klammheimlicher Freude üben sie die Rolle des Moralapostels. Diese sind auch im Chor der Kurz-Gegner vertreten. Die ÖVP wäre für diese Chorknaben am Wahlabend niemals eine Option, doch betroffen äußern sie sich darüber, was aus der staatstragenden und föderalistischen Partei geworden ist. Und ja, jene, denen die Kirche längst egal ist, schreien am lautesten gegen Bischöfe und Pfarrer.
Zum guten Ton der Empörten gehört es, dabei auf die Bibel zu verweisen, Bruno Kreisky als großen Kanzler und Sozialdemokraten zu loben und die historische Leistung der Volkspartei hervorzustreichen. Verlogener geht’s nicht.
Thomas Bernhard könnte dabei helfen, den Chor der empörten Betroffenheitskünstler zu entlarven. Er sprach von den „Kleinbürgern auf der Heuchelleiter“.

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