TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 1. August 2018 von Max Strozzi „Hauptsache, uns geht es gut“

Innsbruck (OTS) Jedes Jahr verbrauchen wir mehr Rohstoffe, als uns die Natur wieder zur Verfügung stellen kann. Unser Wohlstand
speist sich aus einer Wachstums- und Konsumspirale, die zu Lasten unserer Kinder und Enkelkinder geht.

Kürzlich kritisierte ein Tiroler Bauunternehmer in einer Gesprächsrunde mit einer EU-Kommissarin, dass Brüssel in Afrika eine falsche Politik verfolgt habe. Der Vorwurf drehte sich nicht etwa um Armutsbekämpfung oder einen Marshall-Plan für Afrika. Die Kritik in Richtung Brüssel hing sich daran auf, dass sich die EU Afrikas Rohstoffe hätte sichern sollen. Stattdessen würden es die Chinesen tun.
Die Argumentation ist bezeichnend für die Zwänge unseres Wirtschaftstreibens. Ständiges Wachstum und immer mehr Konsum sind die treibenden Kräfte, der Preis dafür wird allerdings jedes Jahr höher. Heute ist Welterschöpfungstag. Also der Tag, an dem wir sämtliche nachwachsenden Ressourcen für das gesamte Jahr verbraucht haben. Was wir dem Ökosystem bis zum Jahresende entnehmen, wird unseren Kindern und Enkelkindern abgehen. So früh wie heuer waren die Jahresressourcen noch nie aufgebraucht. Von Nachhaltigkeit sind wir weit entfernt – es wird vielmehr von Jahr zu Jahr schlimmer. Wälder schwinden ebenso wie die Artenvielfalt, Meere werden leergefischt und mit Plastik zugemüllt, das CO2 in der Atmosphäre steigt, Ernten fallen aus, Polkappen schmelzen und so weiter und so fort.
Jedes Jahr befeuert der Welterschöpfungstag aber auch die Wachstumskritik, die sich freilich auch nur jene leisten können, die bereits im Wohlstand leben. Dennoch bleiben Fragen jedes Jahr aufs Neue aktuell. Wie lassen sich Wachstum und Wohlstand in Einklang mit der Natur und mit gutem Gewissen gegenüber Kindern und Enkelkindern bringen? Ist etwa ein weltweiter schrankenloser Handel wirklich so toll, wenn wir beispielsweise Holz importieren, nur um es hier zu verheizen? Oder Wegwerf-Klamotten „Made in Bangladesh“ einführen? Brauchen wir jedes Jahr ein neues Smartphone? Und wie lange wird der Konsum noch mit Mini-Zinsen und damit mit billigem Geld befeuert? Sollten Garantien nicht spürbar ausgeweitet werden, etwa um die geplante Obsoleszenz einzubremsen, also das von Herstellern gewollte Kaputtwerden von Geräten nach relativ kurzer Laufzeit? Müssen nicht radikalere Verkehrskonzepte und Standortpläne her (Stichwort aussterbende Ortskerne), die ein Zweitauto überflüssig machen? Erfolgreiches Wirtschaften basiert darauf, Jahr für Jahr zuzulegen. Wer nicht immer mehr kauft, verkauft, ab- und umsetzt, droht übrig zu bleiben. Geht es in diesem Stil weiter, können sich unsere Kinder und Enkel ordentlich bei uns bedanken. Hauptsache, uns geht es gut.

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