TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Und lassen uns fraglos zurück“, von Michael Sprenger

Ausgabe vom Dienstag, 21. Mai 2019

Innsbruck (OTS) Angelegt wurde das rechtskonservative Projekt auf zwei Perioden. 17 Monate dauerte es. Bestimmt waren diese Monate von Message Control und einer zur Schau gestellten Harmonie. Und was blieb von alledem? Ein Lehrstück.

Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Dieses Brecht-Zitat aus „Der gute Mensch von Sezuan“ kommt einem in den Sinn, wenn man sich die Auftritte von Bundeskanzler Sebastian Kurz, des gescheiterten FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache, seines designierten Nachfolgers Norbert Hofer und des abberufenen Innenministers Herbert Kickl (allesamt FPÖ) vor Augen führt. Sie alle haben nach dem dramatischen Ende der 17 Monate andauernden rechtskonservativen Koalition zu Pressekonferenzen geladen. Die Medien sollten zuhauf antreten. Als der jeweilige Saal zum Bersten voll war, konnte die Inszenierung beginnen. Strache wählte die Figur des gefallenen Retters Österreichs – der sich über die ach so bösen Menschen beklagt. Ein wenig selbstkritisch war er, was seinen Auftritt beim Schmierenstück „Ibiza“ anbelangt.
Der Kanzler wollte seit Freitagabend nicht lange den Staatsmann üben, sondern gleich in die Rolle des Wahlkämpfers schlüpfen. Denn bei so einer Staatskrise kann man viel gewinnen.
Norbert Hofer hingegen mimte den sanften Betroffenen. So versuchte er schon, die Hofburg zu erobern. Und dann war da eben noch Kickl, der das Innenminister-Kostüm gleich beiseitelegte und in das Gewand des harten Oppositionspolitikers schlüpfte. Diese Rolle muss er nicht einstudieren. Das ist Stegreiftheater.
Trotz alldem war im Auftritt aller zu viel an Druck auf die Tränendrüsen, zu viel Theatralik, zu viele Fragen blieben offen. Notgedrungen, denn die Hauptakteure der Regierungskrise wollten allesamt keine Antworten geben. Deshalb ließ man von vorneherein keine bzw. der Kanzler gegen Abend wenigstens einige wenige Fragen zu. Es war gewissermaßen der letzte Akt der zum Programm erhobenen Message Control dieser Regierung: „Wir bestimmen, was die Medien berichten sollen.“
Aber da gestern auch der Wahlkampf indirekt eröffnet wurde, wollte man doch noch brav sagen, wie wichtig ein unabhängiger Journalismus sei. Nur störende Fragen sollen die Medienvertreter eben keine stellen. Diese hätte es genügend gegeben. Nach 17 Monaten Message Control sollten auch wir Journalisten innehalten – und mit unserer Rolle selbstkritisch umgehen. Brechts Lehrstück über Heuchelei und Selbstsucht, über die Niedertracht und die Bestechlichkeit fordert das Publikum auf: „Los, such dir selbst den Schluss!/ Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“ Ein Auftrag an uns alle.

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