Tiroler Tageszeitung, Leitartikel: „Tausend und eine Farce“, von Michael Sprenger

Ausgabe vom Mittwoch, 16. November 2022

Innsbruck (OTS) Am Sonntag beginnt die Fußball-WM in Katar. Eine Geschichte aus Korruption, Ausbeutung und Verhöhnung der Menschenrechte erlebt ihren Höhepunkt. Soll man als Fan die Spiele boykottieren? Einen Versuch wäre es wert.

Egal! Letzten Endes geht es doch um den Fußball.
So hörte ich mich selbst seit Jahren reden. Seit Jahren wird über die Gigantomanie lamentiert, über die astronomischen Gagen, die dazu angetan sind, dem grandiosen Ballsport die Seele zu rauben. Aber zugleich war die Freude umso größer, wenn tolle Spiele zu sehen waren oder einem Außenseiter die Sensation gelang. Ein Hoffnungsschimmer für Romantiker.
Eine Fußball-Weltmeisterschaft hatte zudem im Vergleich zur Champions League immerzu einen Charakter von Ehrlichkeit, weil hier eben nicht die Stars kreuz und quer zusammengekauft werden können.
Trotz alledem: In fünf Tagen findet das Eröffnungsspiel der WM statt. Und Vorfreude will sich nicht einstellen. Das hat nichts damit zu tun, dass die Weltmeisterschaft im Winter stattfindet – aber viel damit, dass sie im Winter stattfinden muss.
Was nun – alle Spiele boykottieren? Das hilft doch niemandem. Ja, die Arbeiter wurden in einem der reichsten Länder der Welt ausgebeutet, Tausende Arbeiter mussten für die Errichtung der Fußballtempel ihr Leben lassen, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Homosexuellen drohen mehrjährige Gefängnisstrafen, Frauen werden in Katar unterdrückt.
Uns geht es doch um Fußball! Genau deshalb sollten wir die Spiele nicht anschauen. Schwer genug. Vielleicht unmöglich. Aber ein Versuch, zumindest den Rest an Selbstachtung noch zu verteidigen, für welchen wir noch nicht bereit waren, als die WM in Russland stattfand.
Am 2. Dezember 2010 haben sich die Entscheidungsträger des Weltfußballverbands FIFA für Russland und Katar entschieden. Korruption sollte sich lohnen. In beiden Fällen. Ein Doppelschlag gelang.
Die USA waren der Favorit für die Austragung der WM 2022. Beworben hatten sich noch Australien, Südkorea und Japan und eben das Wüsten-Emirat. Obwohl Katar seine Bewerbung für die Spiele im Sommer 2022 abgegeben hatte und jeder wusste, dass man bei 50 Grad keine Matches austragen kann, setzte sich Katar mit 14:8 Stimmen gegen die USA durch. Vor allem der europäische Fußballverband UEFA mit Michel Platini an der Spitze – und unter der Anleitung des damaligen französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy – sorgte für die Entscheidung. Als dann fünf Jahre später der Fußball-Welt die Sache doch zu heiß wurde, sorgte Katar nochmals mit viel, viel Geld dafür, dass statt einer Absage eine Winter-WM daraus wurde.
Egal! Letzten Endes geht es nicht um Fußball, sondern um die Gier.

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