TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Scherben zum neuen Jahr“, von Wolfgang Sablatnig

Ausgabe vom Dienstag, 5. Jänner 2021

Innsbruck (OTS) 2021 beginnt in Sachen Corona so, wie 2020 geendet hat: Die Regierung legt halbfertige Vorschläge vor, die Opposition reagiert mit Ablehnung und Kritik. Eine sachliche Annäherung ist nicht in Sicht.

Scherben bringen Glück. In Österreich geht in diesen Tagen aber das Vertrauen in die Politik – oder was davon noch übrig war – zu Bruch. Das Ende der Pandemie ist nach dem Start der Impfungen zwar in Sicht. Frühjahr und Sommer sind dennoch weit, epidemiologisch, wirtschaftlich und in der Schule. Statt gemeinsam Lösungskompetenz zu vermitteln, steckt die Politik aber in der Sackgasse der gegenseitigen Vorwürfe fest.
Die Mitglieder der Bundesregierung sprechen von „Blockade“ und „bedauern“ das Nein der Opposition zum Freitesten, das ein vorzeitiges Ausbrechen aus dem Lockdown möglich machen sollte.
Sie machen es sich damit aber zu leicht. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) muss sich fragen lassen, ob er sich ernsthaft eine andere Reaktion von SPÖ, FPÖ und NEOS erwarten konnte.
Das beginnt mit der Frist für die Begutachtung des Freitest-Gesetzes: Diese lief von Silvester über Neujahr und einen Samstag bis Sonntag. In der Pandemie sind Flexibilität und Tempo nötig. Aber so?
Dem Entwurf fehlten außerdem die entscheidenden Details. Diese wollte Anschober per Verordnung nachliefern, ohne Einbindung des Parlaments. Auch dafür gibt es gute Gründe, weil auf dem Verordnungsweg rasches Reagieren möglich wird. Diese Details offenzulassen, muss bei der Opposition Widerstand hervorrufen. Ein Überraschungspaket muss das Misstrauen schüren. Selbst der Verfassungsdienst des Kanzleramtes hat Bedenken wegen der Verfassungsmäßigkeit. Auch das Land Tirol schickte eine ablehnende Stellungnahme.
Das neue Jahr beginnt in Sachen Corona so, wie das alte geendet hat: Die Regierung legt halbfertige Vorschläge vor – und die Opposition lehnt ab. Eine sachliche Annäherung? Nicht in Sicht. Die FPÖ will die grundsätzlichen Gegner der Corona-Maßnahmen einsammeln. Aber auch SPÖ und NEOS werden im Ton schärfer.
Nach wie vor schaffen es die Behörden in Bund und Ländern zudem nicht, vergleichbare Infektionszahlen vorzulegen. Und zu allem Überfluss bleibt nach widersprüchlichen Aussagen offen, wie es an den Schulen weitergeht.
Dass viele Menschen das Vertrauen verlieren, verwundert bei diesem Scherbenhaufen nicht. Noch hat niemand begonnen, ihn wegzuräumen. Wenn Regierung und Opposition jetzt aber tatsächlich gemeinsam an einem Plan für die Zeit nach dem Lockdown arbeiten, wäre das zumindest ein Anfang.

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