TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Samstag, 7. Juli 2018, von Alois Vahrner: „Nachbarn mit Unterschieden“

Innsbruck (OTS) Während in Deutschland die schwarz-rote Koalition nur wenige Monate nach ihrem Start um ein Haar schon wieder geplatzt wäre, macht Schwarz-Blau in Österreich auf Eintracht und viel Tempo – teils mit wenig Rücksicht auf Verluste.

Zwei Nachbarländer, zwei neue Regierungen, und doch nur wenige Parallelen: In Deutschland wurde im Herbst einige Wochen vor Österreich gewählt. Trotzdem brauchte man nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche von CDU/CSU mit FDP und Grünen und dem folgenden Verhandlungs-Krampf mit der SPD bis März, ehe man sich zur nächsten Auflage der schwarz-roten Zwangsehe zusammenfand. Ausgerechnet der europäische Stabilitätsanker Deutschland wandelte am Rand der Regierungsunfähigkeit.
Es ist eine Koalition aus Staatsräson und Verantwortung Europa gegenüber, aber eine mit eingebautem inneren Konfliktpotenzial. Wie fragil die Koalition ist, zeigte der von CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer losgetretene heftige Streit über Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze. Die Koalition wäre nach Seehofers Ultimatum um ein Haar in die Luft geflogen, die jetzige Einigung ist vor allem eine mit vielen Fragezeichen. Inhaltlich ist laut ZDF-Politbarometer eine mehr oder minder große Mehrheit der Wähler von CSU, CDU, AfD, FDP und auch der SPD für Seehofers Vorschlag (und selbst 43 Prozent der Links-Wähler), eine große Mehrheit der Deutschen will aber lieber europäische Lösungen als Vorstöße im Alleingang.
Klar ist, die CSU wird auch wegen der Landtagswahl weiter Druck machen. Die SPD bleibt gespalten und innerhalb der CDU hat sich Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem als zu offen empfundenen Ausländerkurs weiter geschwächt. Einziger Kitt der Koalition sind die schwachen Umfragewerte und die Aussicht auf Wahlschlappen und eine noch stärkere rechtsstehende AfD.
In Österreich geht es bei ÖVP und FPÖ (im Gegensatz zum vorangegangenen rot-schwarzen Dauerstreit) intern bisher sehr harmonisch zu. Begleitet wurde der Start von einer starken Konjunktur und einer vielfach mit eigenen Problemen beschäftigten Opposition. Wenn, dann machte sich die Regierung vor allem selbst Probleme: etwa mit den bis heute unklaren Vorgängen rund um die BVT-Affäre oder teils auch mit verschiedenen Aussagen bei der Kassenreform (etwa um die AUVA) oder der Vorgangsweise bei der Arbeitszeitflexibilisierung. Keine Begutachtung und jetzt Vorziehen des leichter möglichen 12-Stunden-Arbeitstags schon auf September – Motto „Speed kills“, vor allem in Richtung Gewerkschaften.
In Umfragen haben die bisherigen Maßnahmen weder der ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz (diese liegt mit 32 bis 33 Prozent unverändert stabil und klar auf Platz 1) noch der FPÖ (mit 25 Prozent hauchdünn hinter der SPÖ) geschadet. Solange das so bleibt, wird sich am Kurs wohl wenig ändern.

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