TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Samstag, 7. August 2021, von Max Ischia: „Kein Grund für blaugeklopfte Schultern“

Innsbruck (OTS) Mit einjähriger Verspätung geht Tokio 2020 als Pandemie-Spiele in die Olympiageschichte ein. Die Rekordkosten von 12,6 Milliarden Euro wiegen schwer. Österreich jubelt über sieben Medaillen, aber es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Vieles ist eine Frage des Blickwinkels. Wer wie Österreich bei den Sommerspielen in London 2012 (medaillenlos) und Rio de Janeiro 2016 (einmal Bronze) unter ferner liefen rangierte, stimmt angesichts von bislang siebenmal Edelmetall beseelt in die Jubelchöre ein. Doch sowenig damals alles schlecht war, so wenig sind die an Edelmetall gemessen erfolgreichsten Sommerspiele der Nachkriegszeit ein Grund für blaugeklopfte Schultern. Als Beispiel dafür dient Österreichs einzige Goldmedaille durch Anna Kiesenhofer, deren Ritt auf den Olymp nicht im Geringsten auf einem rot-weiß-roten Förderprogramm fußt. Losgelöst davon läuft vieles richtig. Die Abkehr vom Gießkannenprinzip und das Hin zu gezielten Förderungen der Top-Kräfte ist nur eine Maßnahme, die von der Bundessport GmbH, dem Sportministerium und dem ÖOC auf den Weg gebracht wurden.
Dennoch tun die Verantwortlichen gut daran, die strukturellen Weichenstellungen weiterhin kritisch zu hinterfragen. Am besten von Grund auf. Dass die seit einem Jahrzehnt erhobene Forderung nach einer täglichen Bewegungseinheit in den heimischen Schulen hartnäckig auf taube Ohren stößt und die Fettleibigkeit der Kinder und Jugendlichen ungebremst zunimmt, ist ein Armutszeugnis – und wiegt schwerer als jede mit Edelmetall beladene Waagschale.
Auch infrastrukturell gibt es Luft nach oben. Beispielgebend erwähnt sei die 50-m-Schwimmhalle in Innsbruck, deren immer wieder adaptierte Pläne seit zwei Jahrzehnten in den Schubladen vergilben, aufgerieben von politischen Ränkespielen. Ganz zu schweigen vom Fehlen eines zeitgemäßen, multifunktionalen Großstadions in Wien. Losgelöst vom heimischen Wirken, erlischt am Sonntag das olympische Feuer im Nationalstadion von Tokio. Zu Ende gehen um ein Jahr verschobene Spiele in Pandemiezeiten, die dem IOC, den japanischen Organisatoren und den 11.090 Athleten aus 206 Nationen vieles abverlangt haben. Trotz Ausschlusses der Zuschauer, trotz rigider Corona-Vorsichtsmaßnahmen, trotz zwischenmenschlichen Vakuums – seelenlos, wie befürchtet, waren die Spiele nicht. Zu stark wirkt die Magie im Zeichen der fünf Ringe. Zu eindrucksvoll liest sich jede der 11.090 Geschichten, die athletenseitig geschrieben wurden.
Ob sich für die Veranstalter die horrenden Rekordkosten von 12,6 Milliarden Euro irgendwann rechnen, bleibt dahingestellt. Fest steht derweil, dass die von den IOC-Oberen proklamierte Redimensionierung der Spiele ungeniert zur Illusion verkommt. Olympia macht weiter auf größer, exklusiver und teurer. Und das ist keine Frage des Blickwinkels.

Rückfragen & Kontakt:

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com



Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.

Eigenes Pressefach für Ihre Pressemeldungen - Pressefach.eu

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen