TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 29. Juni 2020, von Wolfgang Sablatnig: „U-Ausschuss muss Reset-Knopf drücken“

Innsbruck, Wien (OTS) Die Ibiza-Untersuchung im Nationalrat ist von der Kontrolle zur Spiegelfechterei verkommen. Damit verliert sie aber ihre Glaubwürdigkeit. Es braucht unbefangene Akteure und ein klares Ziel. Aufzuklären gibt es genug.

Die frühere Gerichts-Vizepräsidentin Ilse Huber hat als Verfahrensrichterin im Ibiza-Untersuchungsausschuss keine glückliche Figur gemacht. Mit ihrem Rückzug hat sie aber einen Punkt gesetzt, der eine Wende zum Besseren einleiten könnte. Denn so wie der Ausschuss vor allem in der vergangenen Woche abgelaufen ist, hat er seine Glaubwürdigkeit verloren. Die Fraktionen sollten die Chance für einen Neustart ergreifen. Gelegenheit dazu bekommen sie schon am Mittwoch, wenn mit dem FPÖ-nahen Manager Peter Sidlo die nächs­te Schlüsselfigur als Auskunftsperson geladen ist.
Bisher ist der Ausschuss vor allem ein Match aller gegen die ÖVP. Sie ist der bedeutendere Gegner als die ohnehin geschwächte FPÖ. Und die Freiheitlichen tun so, also ob sie mit Heinz-Christian Strache nie etwas zu tun gehabt hätten.
Alle – auch die Türkisen – tun das Ihre, dieses Match anzuheizen. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka als Vorsitzender schafft es nicht, die nötige Distanz zu Verantwortlichen beim privaten Glücksspielanbieter Novomatic herzustellen.
ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel fiel mit Erinnerungslücken auf. Kanzler Sebas­tian Kurz sprach ganz offen davon, wie sich Parteien Jobs und Kontrolle aufteilen, ganz im Sinne des alten Proporzes, den offiziell keiner mehr will.
Auf der anderen Seite die Opposition. Unsicherheiten am Vorsitz und bei der Verfahrensrichterin geben die Vorlagen. Kai Jan Krainer (SPÖ), Stephanie Krisper (NEOS) und Christian Hafenecker (FPÖ) kennen den parlamentarischen Betrieb gut genug, um sie auch zu nutzen. Dennoch sollten sie sich die Frage stellen, wohin sie eigentlich wollen. Sind sie auf schnelle Effekte aus? Ist der U-Ausschuss nur eine Plattform, Erkenntnisse der Justiz öffentlich breitzutreten? Oder geht es vielleicht nur um das Ibiza-Video in allen seinen Details?
Tatsache ist, dass es genug aufzuklären gibt. Ein Strang geriet angesichts des Promi-Spektakels der Vorwoche in den Hintergrund: Was ist los bei Justiz und Bundeskriminalamt? Sind sie gemeinsam in der Lage, auch politisch heikle Straftaten aufzuklären? Oder nicht? Und warum nicht?
Ein zweiter Strang betrifft den Proporz, über den Kanzler Kurz so offenherzig geplaudert hat. „Ich habe dieses System nicht erfunden“, versuchte er sich zu rechtfertigen. Dies ist zu wenig. Der Anspruch müsste sein, den Postenschacher endlich abzustellen.

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