TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Montag, 2. September 2019, von Gabriele Starck: „Beim blauen Auge wird’s nicht bleiben“

Innsbruck (OTS) CDU und SDP gelang es, von ihrer Abgrenzung zur AfD am Ende des Wahlkampfs noch zu profitieren und vorne zu bleiben. Auf Dauer ist diese Strategie zu wenig, um den Verfall der Volksparteien und den Aufschwung der AfD zu stoppen.

Ist doch noch mal gutgegangen. Für den ersten Platz hat’s nicht gereicht. Und von einer Mehrheit ist die AfD ohnehin weit entfernt. 28 Prozent in Sachsen und 24,5 in Brandenburg für diese Partei sind erschreckend viel, aber doch eigentlich keine Besonderheit. Mit derartigen Stimmanteilen können Rechtspopulisten und Rechtskonservative über ganz Europa verteilt schon lange aufwarten. Warum dann mit dem Finger auf die Ostdeutschen zeigen?
Das muss aus zuvor genanntem Grund nicht sein, aber sehr wohl sollte ganz genau hingeschaut werden. Da ist einmal die historische Verantwortung Deutschlands – und übrigens auch Österreichs –, an die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Weltkriegsgedenken erst gestern wieder erinnerte. Aber es sind auch die AfD-Spitzenkandidaten in den beiden Ländern, die beide zum völkisch-nationalen Flügel der AfD gehören. Andreas Kalbitz in Brandenburg bestreitet seine Berührungspunkte mit rechtsextremistischen Gruppierungen gar nicht, und Sachsens Jörg Urban scheut die Nähe zu Neonazis ebenfalls nicht. Ein Viertel der Menschen in den beiden Ländern schreckt das nicht ab. 99 Prozent davon gaben als Wahlmotiv sogar an, dass die AfD ausspreche, was andere nicht dürften. Das hat nichts mehr mit Protestwahl zu tun. Das ist Zustimmung zum Programm und Auftreten. All das sollten die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg im Freudentaumel, doch wieder die Nase vorn zu haben, nicht vergessen. Und auch in Berlin, wo der Wahlausgang trotz satter Verluste den Großkoalitionären auf Bundesebene Luft verschafft hat, darf man sich nicht ausruhen. Oder klarer ausgedrückt: Es ist keine Zeit mehr, sich vor allem mit sich selbst zu beschäftigen – also mit der Diskussion, wer – sowohl in der SPD als auch in der CDU – der, die und das Richtige für Vorsitz und Partei ist. Die Verluste der ehemals Großen werden auch nicht mehr lange einzig über eine verbale Abgrenzung von den Rechtsnationalen abzufedern sein, wie das bei den gestrigen Landtagswahlen schlussendlich wieder zog und es bei einem blauen Auge für Schwarz und Rot beließ.
Es waren nicht die letzten Wahlen, es war nicht das letzte Mal, dass nationalistische und rassistische Parolen die Oberhand zu bekommen drohen. Deren Gift dringt immer tiefer in die Gesellschaft ein. Die Regierenden dürfen nicht länger den Forderungen der Rechten entgegenkommen. Sie müssen eine Politik machen, die Solidarität und Zuversicht stärkt.

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