TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Mittwoch, 29. November 2017, von Florian Madl: „Ein PR-Desaster, kein ÖSV-Skandal“

Innsbruck (OTS) - Der ÖSV sieht sich in der aktuellen Missbrauchs-Debatte als Opfer und kreiert Verschwörungsszenarien. Es hätte gereicht,
sich dem Thema vorbehaltlos zu stellen und damit den Ansprüchen einer sensibilisierten Gesellschaft gerecht zu werden.

Ein ÖSV-Skandal ist der aktuelle Missbrauchsvorwurf aus der Ski-Szene der 1970er keiner. Aber als PR-Desaster kann man es sehr wohl bezeichnen, mit welchem Selbstverständnis der größte Skiverband der Welt darauf reagiert. Plump wie ein Philatelist, der seine Briefmarken nicht mit einer Pinzette, sondern mit einer Grillzange sortiert. Die Gemütslage reicht von „pikiert“, als hätte man die Ski-Funktionäre selbst in die Täterrolle gedrängt, bis irritiert, weil in der öffentlichen Debatte Inquisition statt Investigation vermutet wird. Und sogar die Mitleidskeule wird geschwungen, der Präsident Peter Schröcksnadel von seinem Sportdirektor als sozialer Mann „mit rauer Schale und großem Herz“ gewürdigt. Das stand, mit Verlaub, nie zur Debatte.
Plötzlich schlüpft der ÖSV der Gegenwart, von dem man nichts anderes als uneingeschränkten Aufklärungswillen erwartet, in die Opferrolle. Aber die hat Nicola Werdenigg über, die im Skisport vor gut 40 Jahren Schreckliches durchmachen musste und die den Wirbel mit einem kolportierten Vorfall vom Jahr 2005 erst richtig ausgelöst hatte. Von der Tirolerin, die sich vor der Staatsanwaltschaft erklären will, werden vorab Namen gefordert. So als sei der Skiverband für die Rechtsprechung verantwortlich. Und bei Schilderungen über sexuelle Übergriffe in den 1970ern verfährt man, als hätten diese vor der Einführung des Parallelschwungs stattgefunden. Ja, es war eine andere Zeit damals, aber es war keine rechtsfreie. Darf man sich etwa nur an die Goldfahrt Franz Klammers vom Patscherkofel erinnern (1976), nicht aber an ein Verbrechen zwei Jahre zuvor?
Krisenmanagement sieht anders aus, damit konnte der Österreichische Skiverband allerdings auch nach der Turiner Dopingkiste im Jahr 2006 nicht glänzen. Und dass der ÖSV damals nicht nur Opfer war – ein früherer Langlauf-Trainer wurde wie zwei Biathleten verurteilt –, können auch die Freisprüche nicht übertünchen. Es gab kein Dopingsystem ÖSV, es gab aber auch kein ÖSV-Krisenmanagement. Ein wenig erinnert das Selbstverständnis an die österreichische Journalisten-Sportlerwahl des Jahres 2014, als Marcel Hirscher Bayern-Star David Alaba um nur eine Stimme den Vortritt lassen musste. Wie konnte man nur, echauffierten sich Ski-Funktionäre. Woher rührt das Selbstverständnis, orakelten andere. Noch wird es wohl eine Weile dauern, bis der ÖSV wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Zeit genug, um sich für künftige Debatten zu wappnen. Es bedarf nur der Einsicht, dass manche Regeln auch für die Parallelwelt des Skisports gelten.

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