TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Freitag, 31. August 2018, von Carmen Baumgartner-Pötz: „Gute Beispiele und hohle Phrasen“

Innsbruck, Wien (OTS) Wie soll europäische Solidarität in den Fragen Flüchtlingsverteilung und Grenzschutz in der Realität funktionieren? Zwischen kritischen Worten und praktischer Umsetzung liegt gefühlt das Mittelmeer.

Österreich ist kein gutes Beispiel“, nahm sich Jean Asselborn, Außenminister von Luxemburg und Dienstältester unter seinen EU-Kollegen, gestern ganz undiplomatisch kein Blatt vor den Mund und wies auf zwei Dinge hin, die seiner Ansicht nach nicht zusammenpassen: den EU-Ratsvorsitz innezuhaben und gleichzeitig keine praktische Solidarität zu zeigen, wie im Fall der jüngst in Italien gestrandeten Bootsflüchtlinge. Nur acht von 28 EU-Ländern hatten sich hier eingebracht, Österreich war nicht darunter. Asselborn findet, einem Ratsvorsitzland stünde es besser, alles zu geben, was man hat. Ob diese ungewöhnlich harten Worte, geäußert beim informellen Ministertreffen im Gastgeberland, der gegensätzlichen politischen Herkunft Asselborns (er ist Sozialist) geschuldet sind, darüber soll hier nicht spekuliert werden. Glaubt man Korrespondenten in Brüssel, machen dort unter Diplomaten tatsächlich augenrollend vorgetragene Unmutsäußerungen über den aktuellen Ratsvorsitz Österreichs die Runde: zu einseitig, zu wenig lösungsorientiert, heißt es dort. Die viel beschworene europäische Solidarität ist mittlerweile zum überstrapazierten Schlagwort verkommen; sie einzufordern freilich keine Frage der politischen Farbe: Der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini gefällt sich in der Rolle des Mahners momentan wohl am besten. Auch gestern wollte er mit der Drohung, Italien könnte bei der EU-Mission Sophia aussteigen, von Rom aus Aufmerksamkeit generieren und man könnte durchaus sagen: Ziel erreicht.
Auch Gastgeber Mario Kunasek hat sein Ziel für den Moment erreicht: Das österreichische Modell des Assistenzeinsatzes wird als Option an den EU-Außengrenzen zumindest diskutiert. Freilich sind die rechtlichen Vorbehalte dagegen nicht klein, denn eine Verlegung von Truppen an die EU-Außengrenzen ist im EU-Vertrag eigentlich nicht vorgesehen. Doch wenn es um den effektiven Außengrenzschutz geht – darin sind sich die EU-Staaten ja tatsächlich einig –, dann scheint auch die Entsendung von Soldaten zur Flüchtlingsabwehr denkbar. Da passt dann vielleicht wieder die prophetische Einschätzung von Bundeskanzler Sebastian Kurz aus dem Jahr 2016 zum Thema Grenzsicherung: „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.“ Die EU ist in der Flüchtlings- und Grenzschutzfrage gefordert wie noch nie. Ob sie den Begriff Solidarität wieder mit Leben erfüllt oder nicht, wird uns in seinen Auswirkungen alle betreffen. Die Frage ist: Kann und will Österreich einen nennenswerten Beitrag leisten?

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