TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Erdogan stellt Europa bloß“, von Gabriele Starck

Ausgabe vom Montag, 2. März 2020

Innsbruck (OTS) Der türkische Präsident erpresst die EU mit syrischen Flüchtlingen, obwohl er mit seinem Treiben in Nordsyrien den Konflikt im Bürgerkriegsland anheizt. Europa setzt dafür im Umgang mit Schutzsuchenden nur auf Abschreckung und Polizei.

Es ist grausam, was Recep Tayyip Erdogan auf dem Rücken von Menschen aufführt. Der türkische Präsident hat zunächst wiederholt damit gedroht, Flüchtlinge nicht länger zurückzuhalten. Inzwischen dürfte er sogar dafür sorgen, dass die Menschen dabei unterstützt werden, sich auf den Weg in Richtung EU zu machen – ein Hinweis sind die Busse, die sie an die griechische oder bulgarische Grenze bringen.
Erdogan erhöht so den Druck auf Europa: um die Unterstützung der NATO-­Verbündeten bei seinem Feldzug in Nordsyrien und von der EU mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung in seinem Land zu erzwingen. Ersteres wäre Wahnsinn, Zweiteres allerdings ist zu einem gewissen Grad verständlich.
Erdogans Versuch, das Geschehen in Nordsyrien zum NATO-Bündnisfall erklären zu lassen, ist lächerlich. Die Türkei wird nicht in ihrer Souveränität angegriffen. Vielmehr hat Erdogan Truppen in ein Nachbarland geschickt, um islamistische Rebellen im Kampf gegen syrische Kurden zu unterstützen. Jene Kurden übrigens, die zuvor der Welt geholfen haben, die Terrormiliz IS zu bekämpfen. Kein europäisches NATO-Mitglied wird sich also im Namen Erdogans in diesen Konflikt ziehen lassen.
Und die Chance, aus lauterer Motivation – in welcher Form auch immer – in Syrien aktiv zu werden, um das Töten, das Leid und damit die Fluchtbewegungen zu stoppen, hat die Europäische Union längst verpasst. Friedensappelle allein beenden keinen Krieg.
Abgesehen davon ist Europa zunehmend unglaubwürdig, wenn es ein friedvolles Miteinander und Menschlichkeit predigt. Die EU hat auf ihre Unfähigkeit, mit Zuwanderung umzugehen, nur noch eine Antwort:
Abschreckung bis hin zum Ertrinken – Stichwort Seenotrettung. Abschreckung ist auch das Motto für die Lager auf den griechischen Inseln. Geld hätte die EU, um eine würdevolle Unterbringung bis zum Abschluss der Asylverfahren und die Beschleunigung dieser sicherzustellen. Stattdessen lässt man die Asylwerber im Dreck liegen und die Inselbewohner mit all dem Elend rund um sie allein.
3,6 Millionen Menschen haben in der Türkei mittlerweile Zuflucht gesucht und es werden immer mehr. Das ist für kein Land ohne Hilfe bewältigbar. Wenn die EU verhindern will, dass ihre Grenzen gestürmt werden, wird sie Erdogan weiter und noch viel mehr helfen müssen. Denn zu einer politischen Lösung – sei es im Syrien-Krieg oder auch im Umgang mit Migration – war sie nicht in der Lage.

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