TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Eine Heeres-Demontage in Raten“, von Alois Vahrner

Ausgabe vom Freitag, 26. Juni 2020

Innsbruck (OTS) Das zuvor über lange Zeit abgewirtschaftete österreichische Bundesheer künftig nur noch als eine Art technischer Hilfsdienst? Dem Verteidigungsministerium bleibt nach diesem Schuss ins eigene Knie nur der rasche Rückzug.

Mit salbungsvollen Worten wurde heuer der Jubiläen 75 Jahre Kriegsende und 65 Jahre Staatsvertrag gedacht. Die damals garantierte immerwährende Neutralität beinhaltet auch Pflichten, etwa das 1975 beschlossene Bundes-Verfassungsgesetz zur Umfassenden Landesverteidigung. Und in diesem ist neben der geistigen, der zivilen und der wirtschaftlichen vor allem auch die militärische Landesverteidigung festgelegt.
Und genau diese hat die Ressortführung in einem Hintergrundgespräch mit Medien (Verteidigungsministerin Klaudia Tanner war bei der Verkündigung der Reformpläne kurioserweise nicht anwesend) massiv in Frage gestellt. Die militärische Landesverteidigung sei kein Schwerpunkt mehr, das Heer solle stattdessen auf Aufgaben wie Pandemien, Cyberattacken, Katastrophenschutz und Migration ausgerichtet werden. Die von Übergangsminister Thomas Starlinger geforderten 16 Mrd. Euro bezeichnete man als „nicht realistisch“, die von ihm gezeichneten Bedrohungsszenarien seien übertrieben.
Die Opposition ortet Verfassungsbruch und fordert den Rücktritt Tanners. Selbst der Koalitionspartner Grüne, sonst nicht gerade Verfechter größerer Heeres-Investitionen, sind irritiert. Und Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der als Oberbefehlshaber des Bundesheers in die Pläne nicht einmal eingeweiht worden war, holte Tanner zum Rapport. Diese ruderte umgehend zurück, auch die militärische Landesverteidigung bleibe Kernaufgabe.
Faktum ist: Das Heer pfeift seit Langem aus dem letzten Loch, es wurde von Rot, Schwarz und Blau, in welcher Formation auch immer, kaputtgespart. Nur im Superwahljahr 2013 war das Heer plötzlich interessant. Die SPÖ wollte nach einem radikalen Schwenk per Volksbefragung ein Berufsheer und die ÖVP, früher Berufsheer-Ideen nicht immer abgeneigt (etwa Ex-Kanzler Schüssel), wurde zum glühenden Wehrpflicht-Verteidiger. Die Wehrpflicht blieb, die finanzielle Notlage ebenso.
Jetzt soll das Skelett Bundesheer, das maximal bei Nationalfeiertags-Aufmärschen, Katastropheneinsätzen oder zum Pistentreten bei großen Ski-Events ins Blickfeld rückte, zu einer Art technischem Hilfsdienst umfunktioniert werden. Ein „Bundesheer light“, das vor allem offene Probleme und Fragen vor sich herschiebt. Nur eine davon ist die Luftraumüberwachung. Die ÖVP lenkt Finanz- und Verteidigungsministerium, Ausreden bei anderen suchen wie in der Vergangenheit zieht diesmal also nicht. Und für Verteidigungsministerin Tanner ist bei weiteren Fehleinsätzen politischer Zapfenstreich.

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