TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Ein realistischer Blick auf Österreich“, von Wolfgang Sablatnig

Ausgabe vom 13. November 2018

Innsbruck (OTS) Auch 100 Jahre nach der Ausrufung der Republik ist die Entwicklung nicht abgeschlossen – sie kann es gar nicht sein. Umso notwendiger sind Respekt und Rücksichtnahme auf die politisch Andersdenkenden.

Der Gleichklang der Redner zum Republiksjubiläum macht nachdenklich: Die Autorin Maja Haderlap, Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Heinz-Christian Strache – sie alle machten neben den Erfolgen des Landes das Funktionieren der Demokratie zum Thema. Sollten wir diese grundsätzlichen Fragen 100 Jahre nach Ausrufung der demokratischen Republik und mehr als 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft, eingebettet in ein geeintes Europa, nicht längst geklärt haben? Tatsächlich stellen sich diese Fragen immer neu. Den aktuellen Hintergrund dazu liefern Entwicklungen in Österreich, Europa und der Welt, die neue Antworten verlangen. Die Sozialpartnerschaft und das sprichwörtliche Miteinander etwa gelten als Erfolgsrezept der Zweiten Republik, das seinen Ausdruck auch in der ebenso sprichwörtlichen Aufteilung der Republik in Rot und Schwarz fand. Mit der FPÖ in der Regierung und der Abkehr der Koalition von sozialpartnerschaftlichen Gepflogenheiten muss sich das Gefüge neu ordnen. Dass die Warnstreiks der Metaller und das Republiksjubiläum zusammenfallen, ist da ein bezeichnender Zufall.
Politik und Bevölkerung werden auch nicht darum herumkommen, zu akzeptieren, dass Österreich längst zum Einwanderungsland geworden ist. Selbst wenn wir alle Grenzen schützen und alle Routen schließen, haben 15 Prozent der Einwohner eine andere Staatsbürgerschaft. Bei fast einem Viertel sind die Eltern nicht in Österreich geboren. Dies bedeutet andere Sprachen, andere Religionen, andere Kulturen, aber auch andere Idole und Ikonen; Córdoba als Mythos für alle war einmal. Oder das Verhältnis zu Europa. Mehr oder weniger? Glühbirnen oder Rettungsschirm? Die Bruchlinien gehen mitten durch die so um Konsens bemühte Regierung. Die Bewährungsprobe kommt mit dem EU-Wahlkampf 2019.
Es entspricht einem realistischen Blick auf Österreich, dass wichtige Fragen immer wieder neu ausverhandelt werden müssen, jetzt und in den nächsten 100 Jahren. Friedlich und erfolgreich ist dieses Aushandeln dann, wenn die Spielregeln eingehalten werden und Andersdenkende – wie es Van der Bellen unterstrichen hat – nicht als Feinde, sondern als demokratische Partner betrachtet werden.
Die Verantwortung für diesen Prozess tragen alle, vor allem aber die aktuell Stärkeren, die Regierung also.

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