TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Dienstag, 6. Februar 2018, von Matthias Christler: „Nichtschwimmer im digitalen Teich“

Innsbruck (OTS) - Die wichtigste Frage in der Kindheit ist nicht mehr die nach Taschengeld oder Ausgehzeit, sondern wann die Eltern das erste Smartphone rausrücken. Nicht nur dabei geraten digital überforderte Erwachsene oft gehörig ins Schwimmen.

Kinder von heute schaffen es früher, das Video im Lieblings-YouTube-Kanal zu finden, als den eigenen Namen auf Papier zu kritzeln. Mit ein wenig Tippen und Wischen steht den Kleinen ein riesiger Teich an Möglichkeiten offen. Über die dunklen Stellen, den Morast, klärt der heutige „Safer Internet Day“ auf – von Mobbing in WhatsApp-Gruppen und Internet-Sucht über Kostenfallen in niedlich aussehenden Computerspielen bis zu Pornografie oder Grooming, bei dem in Foren Kinder für sexuelle Kontakte angesprochen werden. In Wahrheit erkennen Erwachsene diese Gefahren oft zu spät, weil sie selbst als Nichtschwimmer durch den digitalen Teich strampeln.
Und auf einmal stehen Eltern, die das Handy in der Not als Babysitter verwendet haben, vor der Frage, ab wann sie ihrem Kind ein eigenes Smartphone gestatten. Der Schulfreund in der ersten Klasse Volksschule hat schon eines; von Bekannten weiß man aber, dass deren Kinder bis zur Firmung handylos bleiben. Die Politik versucht seit diesem Schuljahr, eine Richtung vorzugeben. In Pilotprojekten ab der dritten Klasse Volksschule wird die digitale Grundbildung gelehrt. Das könnte zu spät im doppelten Sinne sein: Diese Themen hätten eher vor zehn Jahren auf den Lehrplan gehört und Experten, die den angelsächsischen Raum als Vorreiter sehen, sprechen sich für erste Internet-Erfahrungen im Kindergarten aus.
Ein Beispiel, wie träge die heimische Politik reagiert, um dann mit einem Schnellschuss das Ziel zu verfehlen, ist die lange angekündigte Meldestelle für Hasspostings und Cybermobbing. Mehrmals verschoben, wurde sie im September endlich umgesetzt. Auf die dazugehörige Öffentlichkeitsarbeit und vor allem die Suchmaschinenoptimierung, also dass Betroffene die Seite auf Google schnell finden, hat man vergessen.
Das bedeutet, die meisten Fragen müssen weiterhin zu Hause ausdiskutiert werden: Ist mein Kind reif fürs Handy? Wie viele Stunden am Tag Internet sind erlaubt? Oder heiklere: Muss das Instagram-Foto, das die 14-jährige Tochter leicht bekleidet zeigt, gelöscht werden? Zwar können Regeln oder Kindersicherungs-Apps das Verhalten des Nachwuchses kontrollieren, aber das wäre, als würde man nur Schwimmflügerl reichen oder einen Zaun um den digitalen Teich bauen. Schlauer ist es, wenn Erwachsene die Technik selbst beherrschen und dem Nachwuchs zeigen, wie sie nicht untergehen und auf der Welle der vielen Möglichkeiten surfen. Doch das funktioniert nur mit Vorbildern – und nicht mit Eltern, die dem Kind ständig das Handy verbieten, obwohl sie selbst kaum die Finger davon lassen können.

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