TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Dienstag, 11. April 2017, von Christian Jentsch: „In Ägypten ist die Hoffnung gestorben“

Innsbruck (OTS) - Der Terror hat Ägypten fest im Griff. Präsident Al-Sisi hat zwar ein Regime etabliert, das ganz auf Repression setzt. Dem blutigen Terror des IS hat aber auch der neue starke Mann nichts entgegenzusetzen.

In Ägypten, da war doch was? Was heute wie ein Märchen aus längst vergangenen Tagen erscheint, schien Anfang 2011 wie ein Lauffeuer die gesamte arabische Welt zu entflammen: Im Arabischen Frühling gingen Hunderttausende Ägypter auf die Straße, um das etablierte System zu zertrümmern, um der Herrschaft der Autokraten – wie jener des ägyptischen Langzeitherrschers Hosni Mubarak – ein Ende zu bereiten. Vor über sechs Jahren schlug auf dem Tahrir-Platz in Kairo das Herz einer Revolution, die bald wieder Geschichte war. Das Experiment namens Demokratie wurde rasch zu Grabe getragen. Im Strudel aus Einschüchterung, politischer Gewalt, Armut, wirtschaftlichem Niedergang und religiösem Hass hatte der Rechtsstaat keine Chance. Bei den ersten freien Präsidentenwahlen im Juni 2012 gewannen die Muslimbrüder, ein Jahr später putschte das Militär und die alte Garde wurde wieder an die Schalthebel der Macht gesetzt. General Abdel Fattah al-Sisi etablierte sich mit Unterstützung der Saudis als der neue starke Mann und ließ sich zum Präsidenten küren. Es folgte eine Welle der Gewalt, bei der Sicherheitskräfte Hunderte Islamisten töteten. Tausende wurden verhaftet, die Muslimbruderschaft zur Terrororganisation erklärt. Doch es traf nicht nur die Muslimbrüder. Auch die einstigen säkularen Helden der Arabischen Revolution, die den Traum von Demokratie träumten, wurden rasch zu Staatsfeinden erklärt, kritische Künstler und Journalisten wanderten hinter Gitter. Unter Al-Sisi ist die Repression schlimmer als unter Ex-Machthaber Hosni Mubarak, der erst jüngst nach einem jahrelangen Gerichtsverfahren freigesprochen wurde.
Al-Sisi hat all seinen Kritikern den Krieg erklärt. Der Terrormiliz IS, die schon seit Jahren auf der Sinai-Halbinsel blutige Anschläge verübt, konnte auch er nicht Herr werden. Mit den blutigen Anschlägen auf zwei koptische Kirchen im Norden des Landes, bei denen am Palmsonntag mehr als 40 Menschen getötet wurden, versucht die Terrormiliz neue Gräben zwischen der christlichen Minderheit und der sunnitisch-muslimischen Mehrheit aufzureißen. Und: Ägypten liegt wirtschaftlich am Boden, gerade jungen Ägyptern fehlt jegliche Perspektive – ein idealer Nährboden für neue Extremisten. Ägypten wankt. Und sollte es fallen, droht der Nahe Osten zu explodieren – mit verheerenden Konsequenzen nicht nur für die Region. Das wissen auch Europa und die USA. Doch mit purer Gewalt wird Al-Sisi dem Druck auf Dauer nicht standhalten können. In Ägypten ist die Hoffnung gestorben.

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