TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Die Billionen am Abgrund“, von Christian Jentsch

Ausgabe vom Samstag, 18. Juli 2020

Innsbruck (OTS) Die EU verhandelt über ein Finanzpaket in der Höhe von über 1800 Milliarden Euro. Es geht um das Budget für die nächsten Jahre und enorme Hilfszahlungen in der Corona-Krise. Doch trotz Geldregens darf es ein „Weiter so“ nicht geben.

Das Coronavirus hat in der Weltwirtschaft eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Auch Europa wurde von der Pandemie hart getroffen. Neben dem Schock über die vielen Toten mitten in Europa drohen insbesondere Länder wie Italien oder Spanien in eine tiefe und langanhaltende Rezession zu rutschen. Mit unabsehbaren Folgen auch für die Stabilität und den Zusammenhalt Europas.
Vor diesem Hintergrund scheint das geplante EU-Konjunkturpaket in der Höhe von 750 Milliarden Euro, davon 500 Milliarden als nicht rückzahlbare Zuschüsse, als notwendiger Kraftakt Europas, um insbesondere hart getroffene EU-Länder vor der Pleite zu retten. Als notwendiges Zeichen für ein solidarisches Europa, das sich gegenseitig hilft, das sich gegenseitig braucht.
Doch die schönen Worte, welche die Politiker in ihren Sonntagsreden gerne hervorkramen und am nächsten Tag schon wieder vergessen haben, entpuppen sich nur allzu oft als leere Versprechungen. Und: Mit dem Geldregen alleine löst man keine Probleme. Nein, es geht nicht darum, die Hilfen mit Steuererhöhungen und Rentenkürzungen für die Bürger in den Empfängerländern zu koppeln. Aber es geht darum, jenen Regierungen, die offensichtlich schlecht gewirtschaftet haben und – das wurde in der Corona-Krise schonungslos aufgedeckt – ihren steuerzahlenden Bürgern kein funktionierendes Gesundheitssystem zur Verfügung stellen konnten, endlich ihre Verantwortung klarzumachen. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Eine Schuldenrallye, mit der man früher oder später gegen die Wand fährt, kann nicht durch unendliche Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank gedeckt werden. Und, nein, es geht nicht um Parteipolitik oder Ideologie. Denn Missmanagement und Korruption beherrschen im Blick auf Europa sowohl konservative als auch sozialdemokratische Regierungen.
Zur Finanzierung des Hilfspakets will die EU Schulden aufnehmen, die von den EU-Staaten dann gemeinsam abbezahlt werden müssen. Für viele ein Schritt hin zu einer engeren Union, hin zu einem Mehr an gemeinsamer Verantwortung. Doch Hand aufs Herz. Von einer politischen Union will man weder in Paris noch in Wien noch sonst in einer Hauptstadt Europas etwas hören. Da kocht jeder lieber sein eigenes Süppchen. Und wenn Ungarn und Polen mit einem Veto drohen, wenn die Vergabe von Hilfsgeldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit geknüpft wird, und sie damit auch noch durchkommen, muss man ohnehin an der Zukunft Europas zweifeln.

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