TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Die Angst vor der grünen Streif“, von Florian Madl

Ausgabe vom Mittwoch, 4. Jänner 2023

Innsbruck (OTS) Dieser Winter lässt uns glauben, dass Skirennen bald nur noch in unseren Erinnerungen existieren. Dabei muss der Weltcup keineswegs neu erfunden, sondern nur neu gedacht werden. Tradition allein reicht für die Zukunft nicht aus.

Die Klassiker des Ski-Weltcups stehen vor der Tür, der Schneefall hält mit der in Vorschauen propagierten Begeisterung des ORF allerdings nicht Schritt. Mit Kanonen oder Snowfarming wehren sich Zagreb, Wengen und Kitzbühel gegen einen widerborstigen Winter, der meteorologisch betrachtet eher ein Frühling ist. Glücklich schätzen darf sich Innsbruck – der Aufwand beim heutigen Bergiselspringen bleibt mit 250 Lkw-Ladungen oder 3500 Kubikmetern Kunstschnee aus dem Schmirntal ein vergleichsweise überschaubarer.
Der ökologische Fußabdruck ist im Ski-Weltcup unverkennbar, das buchstäblich weiße Schneeband in grüner Landschaft spiegelt die gesellschaftliche Spaltung auch farblich wider. Klimaaktivisten kleben sich künftig möglicherweise nicht mehr auf Straßen, sondern graben sich in der „Mausefalle“ oder dem „Steilhang“ der Streif ein, sie ketten sich vielleicht an Starthäuser oder rodeln rücklings mit einer „Raus aus der Kohle“-Flagge den Auslauf einer Sprungschanze runter. Wintertaugliches Klima-Flitzen also.
Dieser Konflikt bahnte sich zuletzt schon an: Wenn eine Fußball-WM in der katarischen Wüste stattfindet und die Saudis glauben, mit einem Wintersport-Event ihr angekratztes Image aufpolieren zu müssen, offenbart sich der tiefe Graben zwischen Kritikern und Klima(schlaf)wandlern. Zwei Weltanschauungen wie Markt- und Planwirtschaft, wie Corona-Impf-Befürworter und -Gegner.
Auf einen gemeinsamen Nenner, vor allem aber eine faktenbasierte Debatte wartet man vergeblich. Für die einen sind Extrem-Wetterereignisse von heute das, was wir schon morgen als Alltag definieren. Für Vertreter der Tourismus-Lobby hingegen handelt es sich bei einem 20 Grad warmen Silvester­abend um einen statistischen Ausreißer, den Nestbeschmutzer zweckentfremden, um gegen einen wirtschaftlichen Eckpfeiler des Landes mobilzumachen. Der Wettkampf-Skisport kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen, mit seiner Hurra-Mentalität verlieh er dem Land seit Toni Sailers Olympia-Triple 1956 in Cortina Identität und stand damit quasi Pate für Wintertourismus. Die hinterfragte und letztlich doch fortgesetzte Partnerschaft der Tirol Werbung mit dem Österreichischen Skiverband oder die kommunale Teilfinanzierung von Weltcups untermauert das hinlänglich.
In welche Richtung also soll er gehen, der Skirennsport von morgen? Geografisch bestenfalls dorthin, wo Tradition und regionale Durchschnitts­temperatur Sinn ergeben. Und wirtschaftlich betrachtet nicht unbedingt dorthin, wo es um das viel zitierte Erweitern des Marktes geht. Schon wenn das Interesse gleich bliebe, wäre das nämlich als Erfolg zu werten.

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