TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Babys gehen nicht wählen“, von Manfred Mitterwachauer

Ausgabe vom Samstag, 16. Jänner 2021

Innsbruck (OTS) Wer (junge) Frauen in die Politik bringen will, muss ihnen auch die Tür in die Karenz öffnen. Der Vorstoß des Landes ist höchst an der Zeit. Doch was in der (Rechts-)Theorie gut klingt, wird sich im harten Polit-Alltag erst beweisen müssen.

Beruf und Familie? Allein das ist für viele Eltern schon schwer unter einen Hut zu bringen. Beruf, Familie und Politik? Das grenzt bereits mehr an eine kaum einzustudierende Zirkusnummer. Politikerinnen, die während ihrer Amtszeit ein Kind auf die Welt bringen, sind zwar keine Seltenheit mehr, ungeachtet dessen aber auch im Jahr 2021 rechtlich auf sich alleine gestellt: Der Mutterschutz greift nicht. Ansprüche auf Karenzierung? Fehlanzeige. Zumindest auf Gemeinde-Ebene wollen Salzburg und Tirol diese Lücke jetzt schließen. Das ist höchst an der Zeit. Trotzdem wird auch ein derartiger Rechtsanspruch kaum von realpolitischen Zwängen und Notwendigkeiten entbinden.
2022 wird in den Tiroler Gemeindestuben neu gewählt. Mit nur 17 von 279 Kommunen ist die Anzahl an Frauen auf den Bürgermeistersesseln gelinde gesagt noch ausbaufähig. Attraktiv ist solch ein Job heutzutage wirklich nicht (mehr). Weder für Mann noch Frau. Die Rahmenbedingungen sind in den vergangenen Jahrzehnten herausfordernder geworden. Der behördliche Verwaltungsaufwand wächst vielen Bürgermeistern längst über den Kopf, die finanziellen Entschädigungen sind teils nicht einmal mehr das Wort Schmerzensgeld wert. Und nur allzu leicht stehen sie bei Fehlentscheidungen mit einem Fuß im Kriminal bzw. sind persönlich haftbar. Das schreckt ab. Die fehlende rechtliche Absicherung trifft auch das Thema Karenz. In Salzburg wie auch in Tirol sollen Bürgermeisterinnen (und Bürgermeister) nun aber Anspruch auf ein Jahr Baby-Pause bekommen. Mit Sicherheit ein richtiger Schritt, um das Polit-Amt insbesondere für Frauen zugänglicher zu machen. Ein überfälliger noch dazu. Auf einem gänzlich anderen Papier steht, ob sich BürgermeisterInnen eine volle einjährige Baby-Pause politisch werden leisten können. Vom Volk direkt gewählt, stehen sie diesem auch direkt in der Pflicht. Je kleiner eine Gemeinde, desto unmittelbarer der Kontakt und größer der Zwang, präsent zu sein: 24 h/7 Tage die Woche, in guten wie in schlechten Zeiten. Mit der (langfristigen) Vertretung ist das auch so eine Sache. Machbar, wenn der Vize aus der eigenen Fraktion kommt – ein Schuss ins Knie, wenn es der politische Gegner ist.
Dass sich jüngste Baby-Auszeiten auf ministerieller Ebene nur auf wenige Monate beschränk(t)en, dürfte einen guten Grund haben: Babys bringen keine Wählerstimmen und sichern schon gar nicht das Überleben auf der Polit-Bühne. Weder auf der großen noch der kleinen.

Rückfragen & Kontakt:

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com

[ad_2]

Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.