TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom Samstag, 4. Februar 2023, von Michael Sprenger: „Selbstbewusstes Parlament wäre nötig“

Innsbruck, Wien (OTS) Beim Blick auf den Parlamentarismus in Österreich öffnet sich zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein breiter Graben. Sind die Abgeordneten wirklich mit ihrer Arbeit im Hohen Haus zufrieden? Zumindest ändern sie nichts daran.

Das Haus am Ring wurde umfassend saniert. Das Parlamentsgebäude glänzt. In die Hardware wurde investiert. Doch wie ist es um die Qualität des Parlamentarismus bestellt? Gelinde gesagt: nicht gut. In Sonntagsreden übt man sich in Plattitüden. Da wird das Parlament als tragende Säule der Demokratie dargestellt. Die Gesetzgebung und die Kontrolle der Regierung und Verwaltung werden als zentrale Aufgaben gepriesen. Und wenn ein Festredner dann noch die demokratische Kultur betont, dann wird der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit auch noch tief. Denn auf einen intellektuellen Schlagabtausch zwischen den Abgeordneten mit einer argumentativen Themenentfaltung warten wir vergebens. Nein, das Parlament ist nicht die Bühne von freien Abgeordneten, auf der in offener Debatte für eine Mehrheitsentscheidung gestritten wird, um das politische Schicksal eines Gemein­wesens zu bestimmen.
Stimmt schon, wir sollten nicht zu naiv sein. Wenn also die Parlamentarier der Regierungsfraktionen glauben, ihre Aufgabe bestehe in erster Linie darin, der Regierung die Mauer zu machen und das koalitionäre Vorhaben zu verteidigen, und die Opposition sich wiederholend an der bloßen Ablehnung von Regierungsvorhaben erfreut, dann ist eh alles in Ordnung. Dann ist keine Reform des Parlamentarismus nötig. Dann kann der Parlamentarismus so bleiben, wie er ist – in der Krise. Will aber die Mehrheit der 183 Abgeordneten den Abstand zwischen Theorie und Realität verringern, dann braucht es Initiativen für ein selbstbewusstes Parlament. Bloßes Abnicken von umstrittenen Gesetzesvorhaben wie jenes zur Impfpflicht ist das Gegenteil. Notwendig sind Parlamentarier, die selbst Gesetzes­initiativen starten – und dabei für Mehrheiten werben. Es bedarf endlich eines Parlamentspräsidenten oder einer Parlamentspräsidentin, der/die sich als Sprachrohr für alle Abgeordneten sieht. Stattdessen ist mit Wolfgang Sobotka ein Präsident tätig, der mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl darum kämpft, wer wohl der unbeliebteste Politiker im Lande ist. Zugleich kann aber ein vom Parlament gewählter Präsident nicht abgewählt werden. Den wiederkehrenden Verweis auf das Jahr 1933 könnte man locker entkräften, wenn man die Abwahl an ein konstruktives Misstrauensvotum koppelte. So würde kein Vakuum entstehen. Wahrscheinlich will man dies aber alles erst diskutieren, wenn die FPÖ den künftigen Ersten Nationalratspräsidenten stellt.
Kurzum: Will man das Parlament widerstandsfähig gegen Angriffe von außen machen, muss es selbstbewusst werden.

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