Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 6. September 2019. Von MICHAEL SPRENGER. „Wenn alles möglich erscheint“.

Innsbruck (OTS) Von Hackerangriffen bis Ibiza. Drei Wochen vor der Nationalratswahl erscheint Österreich als Tollhaus.Was alles wie eine alpine Version von House of Cards anmutet, kann durchaus real sein. Eine bittere Erkenntnis.

Wenn es stimmt, was die Spitze der ÖVP behauptet, dann hat dies alles nichts mehr mit dem zu tun, was landläufig gern als „Griff in den Schmutzkübel“ bezeichnet wird. Wenn tatsächlich auf die Parteizentrale der Volkspartei ein Hackerangriff stattgefunden hat, dann wäre dies eine neue Dimension, ein regelrechtes Skandalon. Wenn es dann auch noch stimmen sollte, dass abgesaugte ÖVP-Daten manipuliert und anonym an Medien verteilt worden sind, dann wäre die Bezeichnung „Angriff auf die Demokratie“ keine Übertreibung mehr. Es war die ÖVP, die befürchten musste, in ihren Reihen eine undichte Stelle zu haben. Zuerst wurde eine Liste von Großspendern an zwei Zeitungen gespielt. Die ÖVP hat diese Liste dann – in einer Art von Vorwärtsstrategie – rasch selbst veröffentlicht. Manipuliert war diese Liste nicht. Diese Woche sorgten dann ÖVP-Files für Unruhe, wurde doch damit der Verdacht genährt, dass die frühere Kanzlerpartei – wie schon 2017 – auch im laufenden Wahlkampf die Wahlkampfkostenobergrenze massiv überschreitet, dies aber mit einer Art von „doppelter Buchführung“ zu verschleiern versucht. Die ÖVP spricht von Manipulation.
Gestern glaubte die Volkspartei, mit dem mutmaßlichen Hackerangriff einen Beweis dafür geliefert zu haben. Kann sein. Es ist aber auch möglich, dass die ÖVP-Files weder manipuliert worden sind, noch gehackt. Jedenfalls sperrte die ÖVP eine Journalistin, die über die „doppelte Buchführung“ berichtet hat, vom Hintergrundgespräch aus. Das ist „demokratiepolitisch bedenklich“ (Presseclub Concordia) und kein Ausdruck von Souveränität.
Worauf man sich jedenfalls jetzt schon einigen kann – bevor die im Raum stehenden Verdächtigungen von den zuständigen Behörden auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft worden sind: Wir leben in finsteren Zeiten. Vieles mag an „House of Cards“ erinnern, oder an Machenschaften autoritärer Regierungen. Doch nach der Silberstein-Affäre im Wahlkampf 2017, nach der Schredder-Affäre und vor allem nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos wissen wir: Österreich mag vieles sein, eine „Insel der Seligen“ ist es nicht. Das päpstliche Wort hat wohl nie gestimmt, selbst wenn viele es gerne geglaubt haben.
Trotz des Hangs zur Skandalisierung in Zeiten eines aufgeheizten Wahlkampfs, wo sofort alles und jeder ver- und beurteilt wird, wäre jetzt ein nüchterner Zugang aller angebracht. Im Sinne der politischen Hygiene, im Sinne der Aufklärung.

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