TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Ausgabe vom 31. Oktober 2022, von Mario Zenhäusern: „Das Gezerre um Quartiere nervt“

Innsbruck (OTS) Der starke Zustrom von Hilfe- und Schutzsuchenden nach Österreich war vorhersehbar. Die Regierungen in Bund und Land aber haben die Warnungen der Experten monatelang ignoriert. Jetzt stehen sie unter Zugzwang.

Die aktuelle Flüchtlingskrise erinnert fatal an die Jahre 2015 und 2016. Damals überforderte der gewaltige Ansturm von Hilfesuchenden die Regierungen auf Bundes- und Landesebene. Die SPÖ-ÖVP-Koalition in Wien schwenkte von Hilfsbereitschaft auf Abschottung, wollte den ungewollten und illegalen Zustrom gar mit einem Zaun beziehungsweise einem „Türl mit Seitenteilen“, wie SP-Bundeskanzler Werner Faymann das Konstrukt bezeichnete, regulieren. Der Plan scheiterte ebenso wie die später von VP-Kanzler Sebastian Kurz vollmundig verkündete Schließung der Balkanroute. Das Gegenteil ist der Fall: Noch immer stellt die große Zahl an Flüchtlingen, die sich von Griechenland aus über die Balkanstaaten in Richtung Norden aufmachen, das größte Problem dar.
Die Zuspitzung der Lage war vorhersehbar. Bereits im Sommer 2022 warnten Experten der Fremden- und Grenzpolizei vor dieser neuen Welle. Schon damals wurden im Osten Österreichs, vor allem im Burgenland, täglich Hunderte Personen nach einem illegalen Grenzübertritt aufgegriffen. Umso erstaunlicher ist die Nicht-Reaktion im Land. Statt sich auf den Ansturm vorzubereiten und entsprechende Quartiere bereitzuhalten, passierte – nichts! Und wieder sind die Verantwortlichen überfordert.
Zwar haben alle Bundesländer zugesichert, sich an einvernehmlich fixierte Unterbringungsquoten zu halten. In Wahrheit tun das aber nur das Burgenland und Wien, alle anderen liegen weit unter den vereinbarten Zahlen. Schlusslicht ist Tirol: Knapp 5000 statt der festgelegten 7785 Flüchtlinge sind aktuell hierzulande untergebracht, was einer Quotenerfüllung von etwas mehr als 63 Prozent entspricht. Das ist kein Ruhmesblatt!
Das unwürdige Gezerre um Quartiere für die Gestrandeten nervt. In Tirol, in ganz Österreich. Die Menschen haben derzeit ganz andere Probleme – von der Inflation über die Energieversorgung bis hin zum nicht mehr leistbaren Wohnraum. Sie wünschen sich eine Politik, die Probleme löst, nicht vor sich herschiebt – auch wenn es um Flüchtlinge geht. Die neue Landesregierung in Tirol ist deshalb gut beraten, die Schwierigkeiten bei der Flüchtlingsunterbringung rasch zu beseitigen. Jetzt müssen Anton Mattle, Georg Dornauer und Co. zeigen, dass ihre Ankündigungen mehr sind als nur leere Worte.
Letztlich ist auch die schwarz-grüne Bundesregierung gefordert. Die derzeitige Debatte spielt in erster Linie den Freiheitlichen in die Hände. Und das kann den ÖVP-Granden nicht gefallen, schon gar nicht der mächtigen nieder­österreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die im Frühjahr eine Landtagswahl zu schlagen hat.

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