Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 31. Juli 2020. Von PETER NINDLER. „Mehr als nur gerecht für die Heimopfer“

Innsbruck (OTS) Mit dem Verzicht auf die Verjährung bei den Entschädigungsklagen bereinigt das Land Tirol einen dunklen Fleck in der Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt in seinen ehemaligen Erziehungsheimen. Endlich.

Jahrzehntelang wurde das Recht gebeugt. Die Anklage des Innsbrucker Historikers Horst Schreiber bildet die Klammer für den Missbrauch in staatlichen, konfessionellen und privaten Erziehungsheimen nach 1945. Schreiber hat den Missbrauch in Tirol aufgearbeitet, das System schonungslos offengelegt. Vor allem, was die Verantwortung des Landes Tirol betrifft. Bis Ende der 1990er-Jahre – im Mädchenheim Martinsbühel in Zirl noch bis Anfang der 2000er-Jahre – hat die öffentliche Fürsorgepolitik ihre Verpflichtung meist vor den schweren Heimtüren abgegeben. Die sind dann rasch zugefallen, Kinder und Jugendliche waren damit der Willkür der Erzieher(innen) ausgesetzt. Leben und Existenzen wurden zerstört, die quälende Ohnmacht fraß die Seelen der unzähligen Missbrauchsopfer auf.
Klagen auf Entschädigungen, ein Weg, den ohnehin nur wenige Heimopfer wegen der enormen psychischen und körperlichen Belastung heute gehen wollen, endeten zuletzt in einem Zustand der Machtlosigkeit. Weil die Landesregierung partout nicht auf die Verjährung verzichtet hat. Trotz der Rechtsbeugung unter ihren politischen Vorgängern. Jetzt wird dieser Schritt gesetzt. Er kann zwar nicht die erlittenen Qualen von (sexualisierter) Gewalt lindern oder heilen, doch er gibt den Betroffenen zumindest Selbstwertgefühl zurück. Und er ist mehr als nur gerecht.
Das Unrecht kann trotzdem nicht in einer behördlichen Schublade abgelegt werden, der Blick auf Missbrauch und Gewalt in unserer Gesellschaft muss weiter geschärft werden. Um Übergriffe auf die schwächsten Glieder in der Gesellschaft zu verhindern, um den oft stummen Opfern wirksam zu helfen. Die katholische Kirche wollte die Aufarbeitung anfangs beharrlich in die Katakomben verbannen, heute wird sie international davon eingeholt. Fast täglich werden Fälle von Pädophilie und sexueller Gewalt bekannt, hochrangige Würdenträger von ihrer Vergangenheit eingeholt. In Martinsbühel versuchten die heutigen Verantwortungsträger im Orden der Benediktinerinnen das unermessliche Leid hinter den Schlossmauern zu ignorieren, ließen Land und Diözese Innsbruck abblitzen. Aber ohne offene und ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bleibt ein Schatten auf ihrem Orden – und auf der Sozialpolitik des Landes.
Der Verzicht auf die Verjährung bei Entschädigungsklagen steht deshalb dem Land Tirol gut an. Es hat Zeit gebraucht, doch endlich wird dieser dunkl­e Fleck bereinigt.

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