Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 29. Mai 2020. Von NIKOLAUS PAUMGARTTEN. „Reifeprüfung mit unreifem Abgang“.

Innsbruck (OTS) Der Corona-Notfallplan des Bildungsministeriums für die Matura 2020 hat gleich zu Beginn seine Schwächen gezeigt. Jene Schüler, die das zu ihrem Vorteil genutzt haben, werden zwar maturieren, bleiben den Reifebeweis aber schuldig.

Sie sollen der krönende Abschluss am Ende einer Schullaufbahn sein, die im besten Fall nicht länger als zwölf bzw. 13 Jahre gedauert hat:
Jene Wochen im Frühling, in denen Maturantinnen und Maturanten zur Reifeprüfung antreten. Doch heuer ist vieles anders. Nicht nur, dass die Coronavirus-Krise den Vorbereitungskalender auf die Abschlussprüfungen ordentlich durcheinandergewirbelt hat, hat eine Handvoll Schülerinnen und Schüler nun jene Regelung des Bildungsministeriums zu ihren Gunsten ausgenutzt, die einem gesamten Jahrgang – 42.000 Jugendliche und junge Erwachsene in ganz Österreich – die Reifeprüfung trotz Pandemie und ohne großen zusätzlichen Aufwand retten sollte. Weil der mündliche Teil der Matura abgesagt und dafür die Endnote des Jahreszeugnisses der letzten Klasse zu 50 Prozent als Teil der Matura gewertet wird, haben 30 Maturanten bei der Deutsch-Klausur einfach leere Zettel abgegeben. Ein „Befriedigend“ im Jahreszeugnis wird damit ohne Prüfungsleistung zu einem „Bestanden“ mit der Note „Genügend“ im Maturazeugnis. Findig, clever, kreativ? Oder einfach nur faul, unsolidarisch und eine Abwertung der Matura? Die Praxis hat jedenfalls gezeigt, dass der Corona-Notfallplan für die Reifeprüfung seitens der Politik nicht ganz zu Ende gedacht war. Das ist in Zeiten, in denen vor allem das Improvisieren und rasche Reagieren gefragt ist, keine Schande – zumal Bildungsminister Heinz Faßmann mittlerweile angekündigt hat, die Gewichtungen der Noten und die Spielregeln für die Matura bis zum nächsten Schuljahr nachbessern zu wollen. Die Schülerinnen und Schüler heuer kommen allerdings mit ihrer Auslegung ungestraft davon – und zwar deshalb, weil sie keine der geltenden Regeln gebrochen haben.
Einen Schaden hat der Stellenwert der Reifeprüfung 2020 dadurch nicht genommen – zumindest nicht für jene, die ihre Klausur geschrieben haben. Jene 30 Schülerinnen und Schüler allerdings, die ein leeres Blatt abgegeben haben, haben vor allem eines gezeigt: Dass man zwar die Schule mit Matura beenden kann, das aber noch lange nichts über die persönliche Reife aussagt. Denn eine gehörige Portion Durchhaltevermögen, Sitzfleisch, Biss und der Wille, etwas positiv zu Ende zu bringen, ohne nur den Weg des geringsten Widerstandes zu suchen, wären nicht nur gute Ratgeber für das weitere Leben, sondern würden auch von Reife zeugen. So ist das Ende der Schullaufbahn für die 30 halt ein Abschluss – aber ganz sicher kein krönender.

Rückfragen & Kontakt:

Tiroler Tageszeitung
0512 5354 5101
chefredaktion@tt.com

[ad_2]

Quelle

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER
INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS. www.ots.at

(C) Copyright APA-OTS Originaltext-Service GmbH und der jeweilige Aussender.