Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 24. Juni 2017. Von CHRISTIAN JENTSCH. „Neue Hoffnung und das Damoklesschwert“.

Innsbruck (OTS) Angeschoben von der beim Gipfel neu zur Schau gestellten deutsch-französischen Achse, tankt die EU wieder Optimismus. Doch in der Flüchtlingsfrage zieht die Union längst noch nicht an einem Strang.

Von einem „Geist neuer Zuversicht“ sprach die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gestern nach Ende des EU-Gipfels in Brüssel. Und sie tat das nicht alleine. Eng an ihrer Seite stand Frankreichs neuer Präsident und Europas neuer Hoffnungsträger Emmanuel Macron. Jener Macron, der in seinem Land die Rechtspopulisten entzaubert und die politische Mitte neu erfunden hat. Merkel und Macron schienen die Geister namens Brexit und Trump endgültig aus dem europäischen Haus vertreiben zu wollen, sie appellierten an die Einigkeit Europas und beschworen die neue deutsch-französische Achse. Ein deutliches Lebenszeichen eines selbstbewusst auftretenden Europas, für das bereits – nicht nur von den erstarkten Rechtspopulisten – die Sterbeglocken geläutet wurden. Ein zuletzt lahmendes Frankreich soll gemeinsam mit Deutschland wieder den Takt vorgeben.
Die Vorzeichen scheinen trotz Brexit und des protektionistischen Wirtschaftskurses von US-Präsident Donald Trump, der die gesamte liberale westliche Weltordnung in Frage stellt, gar nicht so schlecht. Die Wirtschaft in Europa wächst wieder, die Arbeitslosigkeit geht zurück und das Bewusstsein, dass Europa nur geeint im globalen Machtkampf bestehen kann, wurde auch dank Trumps „America first“ zuletzt wieder geschärft. Auch den Briten dämmert langsam, dass der Brexit wohl kein Patentrezept für eine goldene Zukunft ist.
Alles eitel Wonne also? Mitnichten. In der Flüchtlingsfrage stößt Europa weiter an seine Grenzen. Vor allem in Sachen Solidarität. So weigern sich die Visegrad-Staaten, sich an der beschlossenen Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU zu beteiligen. Aber selbst die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Polen, Tschechien und Ungarn von Seiten der EU-Kommission scheint die dortigen Regierungen nicht sonderlich zu beeindrucken. „Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!“, nahm nun auch Frankreichs Präsident Macron jene Staaten in die Pflicht, die zwar in großem Umfang EU-Förderungen erhalten, bei der Aufnahme von Flüchtlingen aber der Gemeinschaft die kalte Schulter zeigen.
Auch die Flüchtlingswelle aus Afrika wird Europa noch lange und intensiv beschäftigen. Afrika ist die große Herausforderung für die EU in den nächsten Jahrzehnten, erklärte etwa EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn. Wenn Europa nicht bereit ist, beim wirtschaftlichen und politischen Aufbau in Afrika mitzuhelfen, wird es eine hohe Rechnung präsentiert bekommen.

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