Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 21.September 2017. Von MICHAELA S. Paulmichl. „Der Wert des Lebens“.

Innsbruck (OTS) - Die „Freiheit“, zwischen Leben und Tod zu wählen:
Das Gesetz für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur letzten Minute diskriminiert Menschen mit Behinderung. Und es vertuscht feige die Wahrheit über eine Gesellschaft im Perfektionswahn.

Die Unterscheidung beginnt schon lange, bevor ein Kind zur Welt kommt. Oder eben nicht: Laut österreichischer Gesetzeslage ist ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nicht strafbar. Besteht aber die „ernste Gefahr“, das Kind könnte geistig oder körperlich „schwer geschädigt“ sein, kann dieser Zeitraum bis zur kurz bevorstehenden Geburt ausgedehnt werden. Also bis zur Einsetzung der Eröffnungswehen – ab Beginn des Geburtsvorgangs gilt das Kind juristisch als Person.
Dieser Paragraph 97, Österreichisches Strafgesetzbuch, Absatz 2, entspricht laut UN-Behindertenkonvention einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Immer wieder gab es deshalb vehemente Proteste von Seiten Betroffener, die ihr Recht auf Leben verteidigen, vereinzelte Aufschreie, mehr oder weniger emotionale Stellungnahmen verschiedener politischer Parteien. Immer wieder wurde der Beginn eines „breiten Diskussionsprozesses“ gefordert – die Frist für Spätabtreibungen sollte zumindest verkürzt werden. Immer wieder ging man zur Tagesordnung über, ohne die Debatte weiter zu vertiefen. VP-Behindertensprecher Franz-Josef Huainigg beklagte bei seiner Abschiedsrede gestern im Parlament den Perfektionswahn unserer Gesellschaft. Alles müsse perfekt sein – vom Lebenslauf über den Körper, das Haus bis hin zum Kind. Der Politiker, der selbst körperlich beeinträchtigt ist, hat sich in den vergangenen 15 Jahren für die Abschaffung der eugenischen Indikation eingesetzt. Sein Auftreten könnte Anlass sein, die Debatte neu zu beleben und – diesmal ernsthaft – darüber zu reden. Oder sind dafür große Bilder auf Kinoleinwänden nötig? Eine aktuelle österreichische Filmdokumentation widmet sich der Pränataldiagnostik samt Konsequenzen.
Häufig ein Segen – manche Krankheiten können rechtzeitig erkannt und behandelt werden –, ist sie für andere Eltern einfach eine Untersuchung, die sie am liebsten rückgängig machen würden, um nicht zwischen Leben und Tod wählen zu müssen. Das ist die so genannte Entscheidungsfreiheit, die ihnen bleibt oder als solche verkauft wird. Tatsächlich übt die Gesellschaft enormen Druck auf sie aus. In der Debatte, welches Leben als lebenswert gilt und welches nicht, ist die Entscheidung längst getroffen. Dass Betroffene über die Abtreibung medizinisch informiert werden, nicht aber über Hilfsangebote und Unterstützungen, sollten sie sich für ihr Kind entscheiden, ist nur eines vieler Zeichen über den Wert von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft.

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