Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 16. Jänner 2023. Von GABRIELE STARCK. „Vom grünen Verrat“.

Innsbruck (OTS) Ein grüner Wirtschaftsminister opfert ein Dorf dem Braunkohleabbau. Die Parteibasis kocht. Die Aufmerksamkeit wird dabei von jenen weggelenkt, die das Klima-Dilemma seit Jahrzehnten mit verantworten.

Heilsbringer gibt es nicht. Was Österreichs klimaschutz- und umweltaffine BürgerInnen schon länger wissen, bekommt die grüne Basis in Deutschland seit einem Jahr zu spüren. Da werden in Windeseile Flüssiggas-Terminals gebaut, während bei der Errichtung von Windrädern wegen hoher bürokratischer Hürden Flaute herrscht. Da werden Atommeiler nicht wie vorgesehen vom Netz genommen, Kohlekraftwerke reaktiviert und tatsächlich wieder ein Dorf dem Braunkohle­abbau geopfert. Einiges davon darf dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und seinen Folgen untergeschoben werden. Das meiste allerdings ist Realpoliti­k, die in einer Demokratie nun einmal zumeist auf Kompromissen beruht.
Doch Kompromissbereitschaft ist keine Tugend der Jugend – und das ist gut und wichtig so. Das Beharrungsargument „Das war schon immer so“ hat noch nie eine Gesellschaft weitergebracht und schon gar nicht schlechte Angewohnheiten in bessere verwandelt. Die Proteste der 1980er-Jahre – der Kampf gegen den sauren Regen und die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf (WAA) in Bayern oder für die Erhaltung der Donau-Auen in Hainburg – haben gewirkt. Und so ist es für viele AktivistInnen unerträglich, dass die Grünen als Kind dieser 80er-Proteste nun ihre eigenen Überzeugungen verraten.
Die Enttäuschung darüber verwundert ebenso wenig wie die Häme der politischen Konkurrenz über die Zerreißprobe, in der Grüne derzeit stecken. Doch verbockt haben es eigentlich andere. Es ist unsäglich, wenn Parteien, die bis vor Kurzem das Sagen hatten oder es immer noch haben, plötzlich auf die Entwicklung neuer Technologien drängen. Sie hätten diese seit Jahrzehnten politisch forcieren können und damit nicht nur dem Klimaschutz, sondern vor allem dem eigenen Wirtschaftsstandort Siebenmeilen­stiefel verpasst.
Stattdessen wird nach wie vor Leugnungs-, Beharrungs- und Klientelpolitik betrieben. Gewalt- und schadensfrei agierende Fahrbahnblockierer werden als Terroristen bezeichnet und strenge Strafen für sie gefordert. Ist es wirklich schon Gewalt, wenn der Autofahrer den eigentlich alltäglichen Verkehrs­stau jemandem persönlich anlasten kann? Sollte nicht stattdessen jene Politik zur Verantwortung gezogen werden, die zu feig ist, ihren WählerInnen etwas zuzumuten, und sei es nur die Wahrheit?
Alle wissen um die Folgen der Erderwärmung und spüren sie inzwischen auch. Etwas dagegen zu tun, ist die Mehrheit aber nicht bereit. Da nützten dann auch Heilsbringer nichts – wenn es sie denn gäbe.

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