Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 14. September 2020. Von MICHAEL SPRENGER. „Des Kanzlers harter Kurs“.

Innsbruck (OTS) Der Bundeskanzler ist kein Ideologe. Was ihn antreibt, sind Stimmungen. Diese versucht er mit seiner Politik abzubilden. So schaffte er es ins Kanzleramt – und dort will er, solange es möglich ist, bleiben.

Solange Sebastian Kurz weiß, dass sein harter Kurs gegenüber Schutzsuchenden, sein harter Kurs gegen-über Kindern aus Moria bei der Mehrheit der Bevölkerung gut ankommt, wird er ihn nicht ändern. Kurz weiß, dass er deshalb ÖVP-Obmann und Kanzler geworden ist, weil er sich nicht von einer Ideologie treiben lässt, sondern von Stimmungen.
Bevor sich Kurz auf den Weg gemacht hatte, Parteichef zu werden und die Roten vom Kanzlerstuhl zu stürzen, begann er für sich zu lernen, mit freundlichem Antlitz und seriös wirkender Sprache den Rechtspopulismus zu verkörpern – weil dieser in der Breite ankommt. Als er dies perfektioniert hatte, war ihm der Applaus sicher. In der bürgerlichen und konservativen Welt wurde er als Heilsbringer, als großes politisches Talent gefeiert.
Bevor das Aber kommt, sollten seine Gegner nüchtern festhalten: Kurz’ Weg ist bis heute sehr erfolgreich, er versteht es außerordentlich, mit Macht umzugehen und diese für sich auszubauen.
Warum also eine Umkehr? Er verkörpert weiterhin den freundlichen Konservativen mit rechtspopulistischen Zügen, hat außenpolitisch keine Berührungsängste mit nationalkonservativen Kräften – und er betont dort, wo er sich von den Umfragen her sicher sein kann, einen harten Kurs. So ist sein EU-Kurs beim Corona-Hilfsprogramm zu erklären oder seine Weigerung, Flüchtlinge aus dem abgebrannten griechischen Lager aufzunehmen.
Dabei ist es Kurz egal, dass die Grünen als Koalitionspartner anderer Meinung sind. Was wollen sie tun – die Koalition verlassen? Sicher nicht! Die kritische Haltung der Kirche beeindruckt ihn auch wenig. Vor allem dann nicht, wenn man sich bei Kurz artig bedankt, wenn nun Hygienepakete und Zelte für die Hilfesuchenden auf Lesbos zur Verfügung gestellt werden und der Katastrophenfonds kräftig aufgestockt wird.
Was Kurz nicht will, und dafür sorgt er: nur der FPÖ kein Einfallstor anbieten. Also darf es innerhalb der türkisen ÖVP-Regierungsmannschaft keine Kritik an seinem Kurs geben. Das werden wir wohl nicht erleben. Eine Kursänderung wird es also nur dann geben, wenn Kurz spürt, dass sein Kurs bei der Mehrheit der Bevölkerung auf breitere Ablehnung stößt, wenn sich zudem Mitstreiter zu Wort melden und sich für die Härte des Kanzlers schämen. Sollte dies eintreten, dann würde Kurz nicht zögern, sich vor die Kamera zu stellen und davon zu sprechen, dass es jetzt an der Zeit ist, menschlich zu handeln.

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